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Urlaub mit Hund
- Mit dem Womo nach Masuren und an die polnische Ostseeküste
Nach unserer letztjährigen Osterreise zu den Loire-Schlössern und der französischen Atlantikküste, stellte sich die Frage: wohin im Sommer? Südfrankreich fällt wegen der Hitze flach; das müssen wir unserer methusalemischen Anouk (13,5 Jahre) bestimmt nicht mehr antun, dementsprechend wandern auch Italien oder Spanien in den Papierkorb. Bretagne und Normandie wären mindestens fünf Reisen im Jahr wert, aber eine zu einseitige touristische Ausrichtung. Die Welt bietet mehr, und an Anouks Alter orientiert, darf es nochmal etwas Neues sein, schließlich wird das möglicherweise ihre letzte Reise - sie wird ja nicht jünger.
So erinnerten wir uns an unsere Rückreise von Lettland und Riga (2011) und den kurzen Zwischenstopp in Masuren. Darauf, so hatten wir uns fest vorgenommen, müssen wir nochmal ein intensiveres Auge werfen. Wozu noch lange warten? Wasser gibt es genug für unsere Mädels und das Wetter ist auch veteranentauglich. Und jetzt, mit etwas Verspätung, sind sie endlich da, unsere Reise-Erinnerungen. Na, denn los, in den sehr nahen Osten…
Mittwoch, 13. August 2014
7:15 Uhr Abfahrt in Vagen mit einem voll ausgerüsteten LMC-Franz (so heißt unser Womo in Erinnerung an Fiannas Mama, unsere zu früh verstorbene Franzi). Abschied vom Mangfalltal bei 16°C und schwer bedecktem Himmel. Der Verkehr rollt problemlos in Richtung Norden. Diesmal ist der so häufig praktizierte Umweg über Oberfranken und Himmelkron absolut korrekt – weil wir diesmal dort nichts zu erledigen haben, aber doch tatsächlich in diese Richtung müssen. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?
Um 11:15 Uhr machen wir eine kurze Pinkelpause am Rastplatz Himmelsteiche. Irgendwie ist hier alles auf spezielle Weise himmlisch, aber eine leere Blase ist es mit Sicherheit. Um 14:30 Uhr steigt Anouk aus ihrem (unserem?) Bett, um uns unmissverständlich auf ihre Blase aufmerksam zu machen: Stopp am Rastplatz Kersdorfer See, kurz vor der polnischen Grenze. Anouk muss nicht nur dreimal pinkeln, sondern hat auch noch eine Aktion mit ihrem Darm, und das obwohl sie mit ihm morgens eigentlich schon im Reinen war. Reisen bildet anscheinend nicht nur, sondern reinigt auch. Man lernt nie aus. Oder will uns die alte Dame nur bedeuten, dass sie die Reise Sch… findet?
Um 15.05 Uhr überqueren wir die polnische Grenze, mit nichts als friedlichen Absichten im Sinn. Wenn man nach Masuren will und nicht an die Grenzen seiner Fahrtüchtigkeit und der seiner alternden Mitfahrer gehen möchte, also mal schnell 1000 Kilometer runter schrubben möchte, muss man sich überlegen, wo man einen sinnvollen Regenerationsstopp einlegen kann. Wir sind dabei während unserer Vorbereitungen auf einen interessanten Fleck gestoßen, der auch in die Tagesplanung passen müsste: Wysoka, ein winziger Ort westlich von Poznań (Posen). Hier findet man zum einen sehr gut erhaltene Reste des einst kläglich gescheiterten Ostwalls und andererseits einen kleinen Stellplatz direkt am See mit allem Komfort, den man sich wünscht. Zudem ist der männliche Teil der Betreiber Deutscher, der weibliche Polin, was eine geschmeidige Akklimatisierung verspricht.
Zuerst fahren wir jedoch direkt nach Słubice, das Grenzgegenstück zu Frankfurt (Oder) auf der polnischen Seite, das früher als Dammvorstadt oder Gartenstadt ein Stadtteil Frankfurts war: Wir brauchen dringend Sprit. Dieser Grenzort ist so, wie man ihn sich vorstellt: Nutten, Bars, Bordelle, Massageangebote und ein Basar, auf dem man vermutlich alles bekommt, was man braucht und mehr, was man nicht unbedingt braucht und sich vor allem nicht aufschwatzen lassen sollte. Wir meiden all diese Verlockungen und steuern ausschließlich eine Tankstelle an, bei der Diesel genauso teuer ist wie bei uns: 5,42 Złoty (4 Złoty = 1 €). Das war nicht anders zu erwarten, aber auch nicht anders zu machen, es sei denn, wir wollten unseren Franz schieben. Wir haben dann auch gleich richtig vollgetankt, dieses Geeiere, später nochmal zu tanken, ist uns zu dämlich. Dann werden noch schnell 50 € in 200,95 zł getauscht und es geht zurück auf die Autobahn, die bei unserem in die Jahre gekommenen TomTom noch immer die alte B 2 ist, und die er seit seiner erste Begegnung mit ihr, nicht mehr wieder erkennt, weil wir damals stundenlang im Autobahn-Bau-Stau gestanden hatten. Jetzt aber ist sie eine piekfeine West-Ost-Rennstrecke – und fast leer. Klar, sie kostet ja auch Geld, und warum sollen die Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, Letten, Litauer und Esten hier Geld berappen, wenn sie auch bei uns die Autobahngebühren meiden und übers Land fahren? Der Tom scheint etwas beleidigt, als wir diese Perle des näheren Ostens schon nach drei Kilometern in Richtung Rzepin verlassen und auf der echten alten B2 weiter in Richtung Poznań fahren. Jetzt haben wir so ziemlich all jene Baustellen auf dieser B 2, die wir vor drei Jahren auf der Autobahn hatten. Es ist halt etwas Geduld gefragt; in der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft, die man benötigt, um solche Baustellen zu meistern, vor allem, wenn man völlig ungewarnt in tiefe Fahrbahnausfräsungen rumpelt, dass Franzens Aufbau scheppert, als wäre er in eine Hydraulikpresse geraten.
Wohnmobil-Stellplatz in Wysoka Bei Świebodzin (Schwiebus) verlassen wir die B2 nach Norden in Richtung Międzyrzecz (Meseritz). Jetzt wird es ruhig, der polnische Verkehr verläuft in Ost-West-Richtung, alles andere wird beschaulich: Bei Kaława biegen wir links ab, durchqueren Pniewo und sind kurz darauf – am Arsch der Welt (Verzeihung). Hier am Ende einer Sackgasse, in dem knuffigen Flecken Wysoka, geht es am äußersten Zipfel einer Art Halbinsel steil ein paar Meter den Berg hinab auf eine Stellwiese. Endstation. Ein Womo aus Erlangen steht hier, sonst nichts. Ein Schritt aus dem Tor am südwestlichen Ende der Wiese und wir stehen schon fast im See. Drumherum ein paar ansprechende neue Ferienwohnungen, alles gepflegt, einladend und wie für uns gemacht. Um 17 Uhr legen wir uns nach 780 Kilometern vor Anker (Nr. 010), Position N 52° 22‘ 22‘‘ E 15° 27‘ 11‘‘. Die hier angegebene Nummer bezieht sich auf unseren Womo-Reiseführer (siehe Anhang), der, soviel sei hier schon vorausgeschickt, hervorragende Tipps bereithält.
Nach anfänglichem Regen, weiß-blauem Himmel ab Leipzig und dann wieder einem zugeknöpften Himmel bis hierher, bleibt es bedeckt, allerdings bei kuscheligen 24°C.
Nachdem wir unsere vierbeinigen Sommerfrischlerinnen aus dem Franz entlassen haben, ziehen sie sofort die lokalen Willkommensabordnungen an: einen 14-jährigen Schäfer-Veteranen, den wir nur bei dieser Gelegenheit kurz sehen, weil er von Fianna gleich aus dem Ring und vom eigenen Grund und Boden gejagt wird. Nach spätestens einer halben Stunde gehört ihr grundsätzlich alles und demgemäß sucht sie sich ihre Hofschranzen selbst aus; ein Tattergreis gehört nicht dazu und Anouk braucht kein Abbild ihrer eigenen Hinfälligkeit, um sich zu bemitleiden. Sie hält sich da sehr pragmatisch an jüngeres Fleisch. Damit ist der Anouk testet schon mal die Wasserqualität Senior aus dem Rennen. Sein Nachfolger, ein neunmonatigen Nachwuchs-Schäfer und Testosteron-Bolide, schwingt sich umgehend zu Fiannas Herzbuben auf – und auch Anouk betrachtet das Treiben der beiden mit gelassenem Wohlwollen, zumal er vor ihr respektvollen Abstand hält. Die zwei machen sich den Platz untertan und tragen schon nach wenigen Minuten einen toten Fisch im Fell, den ihr der Herzbube stolz als Gastgeschenk zwischen Tor und See präsentierte. Fazit: Ein toter Fisch stinkt im nahen Osten genauso gemütserweichend wie am Mangfallstrand. Da bleibt kein Auge trocken und kein Hundefell ebenfalls – Badetermin! Keine Gnade! So steigen wir also in die plätschernden Fluten, Anouk mit ihrer feuerroten Schwimmweste und lockern unsere müden Glieder – und den Schleim aus dem Fell.
Mehr ist heute nicht mehr geboten, nach fast 800 Kilometern ist der Aktionsradius erschöpft. Spaghetti mit Tomatensoße schmurgeln wir uns noch zurecht, ein Gläschen Wein dazu, sitzen auf dem Steg draußen und lauschen dem leisen Plaudern der Wellen. Anouk ist schon zuhause; dahoam is, wo i bin. Fianna ist unter Verschluss auf dem Grundstück – wegen dem toten Fisch direkt neben dem Steg. Sie findet sich damit ab und wir auch bald ins Bett. Um 22 Uhr ist Schluss.
Donnerstag, 14. August 2014
Um 8:30 Uhr betreten wir den neuen Tag, der uns mit einem Mix aus Sonne und Wolken begrüßt, auch noch etwas Wind im Gepäck hat und sich mit 17°C, verglichen mit den 24°C gestern, eher etwas frisch gibt.
Wir machen uns zu einem gemeinsamen Erkundungsgang durchs Dorf auf, nicht nur aus Neugierde, sondern vor allem, weil wir uns fürs Frühstück grundversorgen müssen. Was heute Nacht noch wie ein fernes Echo aus kynologischen Traumwelten in uns tönte, erweist sich jetzt als die robuste Klangwelt aus 1001 Hunden; kein Garten, kein Hof, keine Grünfläche, kein Parkplatz ohne Hund (wie sich in der Folge noch rausstellen sollte, bestimmt dieses Bild ganz Polen: Hunde sind immer und überall, gehören zum Alltag und sind gern gesehen. Also sind wir hier schon mal richtig). Sie alle haben heute Nacht und heute Morgen ihre akustischen Signaturen abgegeben, und jeden einzelnen erkennen wir an seiner Stimme wieder. Das schafft eine gewisse Vertrautheit – bei uns jedenfalls, nicht so sehr bei ihnen. Es gibt viele kleine Hunde hier, vor allem solche mit multiplen und unspezifischen Verwandtschaftsverhältnissen, andererseits auch ungewohnt viele, die bei uns in die Kampfhundeklassen sortiert werden müssten. Warum die Fifis vielfach hinter Gittern darben und kläffen müssen, die Ledernacken aber Patrouille laufen dürfen, ist uns zunächst nicht klar. Wir registrieren es für uns als polnisches Paradoxon. Fianna macht in dieser Hinsicht keine Unterschiede und mit allen Bekanntschaft, verwickelt die einen in einen freundlichen Plausch und geigt den anderen ihre Meinung. Entsprechend entschleunigt ist unser Fortschritt, so entschleunigt, dass sogar Anouk drauf und dran ist, uns zu ein bisschen mehr Eile anzuspornen, vermutlich weil sie befürchtet, das sie bis zum Ende ihres Lebens noch nicht wieder beim Franz zurück zu sein würde, falls das so weitergehen sollte. Dennoch ist unsere Schneckenprozession von Tür zu Tor und Hund zu Hund nicht ohne Erkenntnis, nämlich die, dass die giftzahnigen Fifis vermutlich nicht ohne Grund hinter Schloss und Riegel geifern, während das martialische Personal eher an sich zu halten weiß und auch mal einen Bogen um das alte weiße Gespenst mit seiner umtriebigen Pressesprecherin machen.
In einem winzigen Tante-Emma-Laden (pol.: Sklep) besorgen wir uns die Basis fürs Frühstück: ein Weißbrot (500 g) und zwei verlockende Gebäckkringel. Dafür legen wir 4 zł = 1 € auf den proppenvollen Ladentisch. Man könnte auch teurer frühstücken, zumal das Brot auch morgen und übermorgen noch auf den Tisch kommt. Gefrühstückt wird dann gegen viertel nach Zehn im Freien.
Kriegsspielzeug U
Müde Krieger - schon vor dem ersten Schuss erschöpft m 12:15 Uhr fummeln wir die Fahrräder von Franzens Heck: Ziel Pniewo und die Ostwall-Bunkeranlagen. Bis nach Pniewo sind es nur knappe vier Kilometer durch eine zauberhafte Pappelalle, aber diese vier Kilometer steigen stetig und behäbig an und stemmen sich auch noch gegen einen fidelen Ostwind. Das hatten auch die Erbauer dieses Verteidigungsmonstrums im Sinn, sich gegen den Wind aus Osten zu stemmen – vergeblich, wie man weiß. Die gesamte Anlage hat etwas stark Martialisches, wie wir schon gestern bei unserer Durchreise hier bemerkt hatten, was bei Kriegsrelikten kaum anders zu erwarten ist; wenn hier aber noch immer jede Menge Polen in Camouflage-Klamotten auf Panzern herumturnen und sich von Gleichgesinnten in Heldenpose ablichten lassen, ist das fast 70 Jahre nach der Zerstörung dieses Beton-Disneylandes doch ziemlich befremdlich. Dieser Mummenschanz macht auf uns einen ähnlichen Eindruck wie die zackigen Kriegskomödianten in der Normandie zur Feier des D-Days.
Wegweiser am Ostwall-Museum Aber
Der erste Eindruck: Panzersperren am Panzerwerk 717 wo sind wir hier eigentlich? Zuerst begrüßt uns an der Straße ein Wegweiser: „Bunkry-Ostwall MRU Pniewo“ und rechterhand grüßt uns ein Schild vom First eines Gebäudes mit der Aufschrift: „Grupa Warowna Scharnhorst“. MRU? Scharnhorst? MRU, erschließt sich uns bald und steht für Międzyrzecki Rejon Umocniony, wobei Międzyrzecki die Kreisstadt Międzyrzecz (Meseritz) meint und der Rest so viel wie Festungsanlagen, also Festungsanlagen in der Region Międzyrzecz. Bei uns ist das alles unter dem Namen Festungsfront Oder-Warthe-Bogen oder eben als Ostwall bekannt. Und was hat das mit dem Scharnhorst auf sich, der ja bekanntlich ein preußischer General aus dem 18. Und beginnenden 19. Jahrhunderts war, auf sich? Nichts, außer dass die Erbauer dieser Anlage für ihre Werkgruppen stolze Namen noch stolzerer Militärs gewählt haben, so gibt es dann u.a. auch eine Werkgrupe Ludendorff, eine Werkgruppe Schill oder Werkgruppe York. Gut, dass man heutzutage überall seinen Taschenwiki dabei hat, und so lernen wir auch, was es mit der Werkgruppe auf sich hat. Zuerst denkt man ja an eine Werkklasse („Heute basteln wir uns ein Pappmaschee-Sparschwein“), nette, brave Jungs, die ihre handwerklichen Fertigkeiten beizeiten üben sollen. Davon kann natürlich keine Rede sein, ebenso wenig wie der klammheimliche Verdacht, dahinter könnte sich so eine Art Wehrsportgruppe ewig Gestriger verbergen. Eine Werkgruppe ist eine normierte Baugruppe für Festungsanlagen, worin genau beschrieben und vorgeschrieben ist, welche Einheiten, Baugruppen, etc. eine solche Komponente haben muss. Die Werkgruppe Scharnhorst besteht aus drei Panzerwerken (PW 716, PW 716a und PW 717), das Panzerwerk 717 beispielsweise mit den Panzerbauteilen 2 × 6-Schartenturm für 2 Maschinengewehre (20 P7), 1 × Panzerturm für Infanteriebeobachtung (438 P01), 1 × Panzerturm für Maschinengranatwerfer M19 (424 P01), 1 × Stahlring für Festungsflammenwerfer (420 P9), 1 × Stahlschartenplatte für Maschinengewehr (7 P7) – kurz: ein El Dorado für Militärhistoriker.
Der Ostwall B
Der Eingang zum Panzerwerk 717 egonnen wurde der Bau des Ostwalls 1934 als stark befestigte Verteidigungslinie auf einer Strecke von etwa 120 Kilometern Länge und bis zu drei Kilometern Tiefe zwischen den Flüssen Warthe im Norden und Oder im Süden und sollte vor einem unerwarteten Angriff des polnischen Militärs schützen. 1939 fand die Wehrmacht, dass der Schutz der Westfront dringlicher sei und stoppte den Ausbau. Bauleute und Panzerbauteile wurden in den Westen beordert, um dort den Westwall (630 km zwischen der Schweizer Grenze und den Niederlanden) zu errichten. Mit dem Bau des Atlantikwalls 1942 wurde auch alle bisher im Ostwall installierten Waffen und Fernmeldeanlagen dorthin geschafft. Wegen der bedrohlichen Kriegslage wurde der Ostwall 1944 nachgerüstet und zumindest eine durchgehende Feuerfront für Maschinengewehre aufgebaut. Am 28. Januar 1945 durchbrach die Rote Armee die Linie im Zentralabschnitt nach drei Tagen. Auch die Nord- und Südabschnitte wurden nach einiger Gegenwehr kurz darauf genommen. Da die Verteidigungslinie für die Rote Armee in der Folge keine große Bedrohung mehr darstellte, wurde sie erst im April und Mai nach einer Zangenbewegung eingeschlossen und zur Aufgabe aufgefordert. Wer sich nicht ergab, wurde mitsamt seinem Bunker gesprengt. Dabei wurde vieles zerstört, aber eben nicht alles – und das wollen wir heute besichtigen.
Skizze der Anlage des PW 717 mit seinen Stollen Da die Panzerwerke unterirdisch mit Stollen und Feldbahnen verbunden waren, gibt es heute noch ein Tunnelsystem von ungefähr 32 Kilometern. Bis zu 52 Meter reichen die Stollen in die Tiefe, unter meterdicken und bombensicheren Betondecken.
Das also sehen wir uns heute an. Um 13 Uhr beginnt die Führung. Aber zuerst wollen wir unsere Fahrräder in sicherer Obhut wissen, schließlich wimmelt es hier in Polen nur so von Polen, und von Harald Schmidt haben wir schon vor Jahren gelernt, dass die alles klauen, was nicht fest verdübelt ist, sogar Fahrräder aus dem Jahr 1995. Notfalls kann man aus ihnen immer noch eine Bewässerungsanlage für den Garten basteln; man weiß ja nie. Der nette junge Mann am Ticketschalter weist auf unsere entsprechende Frage hin hinter sich auf eine Halle, dort könnten wir die Räder abstellen. Der Raum ist riesig, charmant wie ein ehemaliger Bahnhofswartesaal, Stühle und Tische sind an den Wänden zusammengestellt. Offenbar finden hier gelegentlich Veranstaltungen, Vorträge und Seminare statt. Jedenfalls muss jeder, der unsere Räder klauen will mit diesen am Ticketschalter vorbei; das schafft Vertrauen. Wir hängen die Räder mit den Schlössern an einem Tischbein an, was extra schlau ist, weil man eigentlich nur den Tisch anheben müsste… Da kann man mal sehen, was Stammtischpropaganda mit erfahrenen und gestählten Weltenbummlern alles anstellen kann. Aber das ist wohl ihr eigentlicher Hintergedanke.
Panzerturm des PW 717 Dann also los. Wir folgen unserem Führer, der uns erst einmal anhand von Lageplänen das ganze Gelände in klangvollem Polnisch erläutert. Wenn er etwas langsamer gesprochen hätte, hätten wir ihn bestimmt auch verstanden. Dann geht es hinaus und vorbei an den Panzersperren des Panzerwerks 717. Während der Chefchronist an den Rädchen seiner Kamera kurbelt, ist plötzlich die Cheflogistikerin weg, ihren schönen Rücken kann er gerade noch in der Ferne ausmachen. Will sie ihn hier zwischen
Schlupflöcher zur Unterwelt all den feindlichen und rachelüsternen Polen aussetzen? Er mischt sich unauffällig in den Pulk, sagt kein Wort, um nicht identifiziert zu werden und lauscht den wohlklingenden Lauten des Führers. Kurz vor dem Einstieg in die Unterwelt gesellt sich auch die Chefin wieder zu ihnen, etwas außer Atem, vor allem aber in kriegslüsterner und gewissermaßen unterirdischer Stimmung. „?“ „Die haben uns die Audio-Guides vorenthalten“ zischt sie, grün um die Nase. Sie hat gesehen, dass einige Leute hier Audio-Guides haben und ist deswegen zurück gegangen, um uns auch welche zu holen, damit wir nicht genauso dämlich aus dem Stollen steigen wie wir rein geklettert sind. Das nennt man wohl Aufopferungsbereitschaft. Aber der jetzt nur noch halb so nette junge Mann am Ticketschalter habe nur mit den Achseln gezuckt: nix mehr da! Aber der Führer spräche gut Deutsch, tröstet er, kein Problem. Also fragen wir den Führer, wie es denn um seine Deutschkenntnisse stünde, und der
Unterirdisches Tunnelsystem des PW 717 meint, die wären ausreichend vorhanden, aber bei seiner so großen Gruppe könne man nicht auch noch alles in Deutsch erklären, dauert viel zu lange. Na, dann lernen wir eben mal flott ein bisschen Polnisch für unsere eigene Vergangenheitsbewältigung. Dafür reist man doch. Und wer viel reist, hat viele Antennen und eine dieser Antennen extrahiert aus dem Pulk denn auch schnell eine junge Schweizerin, die sich von einem jungen Mann übersetzen lässt. An die hängen wir uns dran, zumal die beiden nett sind und der Mann sich als ihr Gemahl herausstellt. Das macht Mut, weil die Polnischstunde doch eher für Fortgeschrittene ist. Dumm nur, dass der polnische Schweizergemahl nicht viel mehr deutsch spricht als wir polnisch. So können wir uns umso besser auf die optischen Eindrücke dieses Beton gewordenen Irrsinns konzentrieren.
Draisinenmaschinistin 32 Meter steigen wir in die Tiefe, besichtigen Schlafkasematten, Offiziersräume, Werkstätten und Munitionslager, Unterirdische Feldbahnen und Bahnhöfe, bringen eine Draisine in Fahrt und dringen dabei immer tiefer in diese schaurige Unterwelt ein. Aber eines muss man denen, die das geplant und gebaut haben, lassen: egal wie tief wir sind und wie weit wir fortgeschritten sind, hier unten herrschen zwar sehr unterkühlte, aber angenehme Klimaverhältnisse; die haben es perfekt verstanden, dieses Stollensystem zu belüften. Auch tritt man nur an wenigen Stellen in gestautes Kondenswasser; der Bunker ist knochentrocken. Das nötigt uns doch einigen Respekt ab.
Pappkameraden Es ist eine gruselige Prozession hier in dieser völlig lichtfreien Finsternis, die nur gespenstisch von geliehenen Taschenlampen, Stirnlampen und Handylichtern wie von Suchscheinwerfern durchstöbert wird. Vor allem die bei den Polen so beliebten Camouflage-Klamotten verschaffen dieser Prozession einen morbiden bis bedrohlichen Reiz. Der Führer versteht es, dieses beklemmende Gefühl noch zu steigern, indem er ein paar naseweise Touristen in einen Nebenstollen abwandern lässt und dann hinter ihnen klammheimlich
Krankenstation die Luftschutz taugliche Stahltüre schließt. Es dauert nicht lange, bis die sich an der Tür bemerkbar machen, mit dumpfen Stimmen rufen und gegen die Tür hämmern. Es klingt hier unten, als ob nicht nur die Leute, sondern auch das Hämmern gefangen wäre. Als sie befreit werden, können sie dann doch wieder lächeln, blass zwar, aber ohne sich in die Hose gemacht zu haben. Gelegentlich spielt einem das Hirn hier unten üble Streiche und man meint, jeden Moment versprengtem Kriegspersonal begegnen zu müssen, dass vermutlich schon zu übergroßen Nacktmullen mutiert ist.
Gepanzerter Taxi-Service Zweieinhalb Stunden dauert diese Führung durch diese lebensfeindliche Unterwelt, die nur einen kleinen Teil der noch vorhandenen Bausubstanz abdeckt. Wem dann die Lust auf Militärisches noch nicht abhanden gekommen oder nicht mehr gut zu Fuß ist, kann sich mit Kübelwägen zum Ausgangspunkt zurücktransportieren lassen. Wir gehen zu Fuß, das tut uns jetzt gut.
Aber ein Gutes hat diese Stollenwelt doch: 35 000 Fledermäuse aller hier ansässigen Arten haben in diesen Stollen einen Überwinterungsplatz gefunden, der idealer nicht sein kann. Sie werden gehegt und gepflegt und sind Studienobjekt vieler internationaler Ornithologen. Komisch nur, dass man dafür Millionen Tonnen Beton anmischen und 600 Millionen Reichsmark ausgeben muss. Das wäre auch billiger gegangen. Aber anscheinend geht ohne Blut und Tod nichts voran.
Wir finden unsere Fahrräder wohlverklinkt an ihrem Tisch wieder und rollen wie der Wind mit diesem im Rücken bergab die Pappelalle entlang zurück nach Wysoka. Nein, auf der Flucht sind wir nicht, aber mit jedem Meter den man von diesem Kriegsrelikt Abstand gewinnt, wird man beschwingter. Und dennoch: Wer je in diese Gegend kommen sollte, darf sich diese Anlage, immerhin die größte Festungsruine Europas, nicht entgehen lassen. Man wird in vielem bestätigt – und lernt doch immer noch eine Menge dazu. Das sollte der Nutzen einer jeden Reise sein, auch wenn nicht alles unbeschwertes Vergnügen ist.
Um 15:40 Uhr sind wir zurück in Wysoka. Im Tante-Emma-Sklep kaufen wir zwei große Tomaten, eine Paprika, eine Gurke und 250 Gramm Heidelbeeren; 7 zł zahlen wir dafür. Und um 16 Uhr sind wir zurück beim Franz und seinem Wachpersonal.
Die Chefplanerin lässt nun aber nicht locker und keinen Schlendrian aufkommen, meint, dass es nach dem Höhlentrip gut sei, den Kopf und die Lungen frei sowie die Glieder in Bewegung zu kriegen. Also nehmen wir uns eines der Ruderboote, die am Ufer für die Gäste kostenlos bereit liegen und rudern um 16:30 Uhr hinüber zum Badestrand. Aber was heißt da: wir? An Bord dieses Ausflugsdampfers Ruderknecht mit 1. Offizierin b
Eine Seefahrt, die ist lustig... efinden sich drei Primadonnen und ein Galeerensträfling, oder wie formulierte dereinst der Leichtmatrose Westerwelle so treffend: Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Dinge regelt. Schön, was aber ist auf einem Schiff, das nicht dampft und auch nicht segelt? Da gibt es drei, die die Dinge regeln und einer, der sich in die Riemen legt. Von unserem Steg hinüber zum Badestrand sind es nur knappe 600 Meter Luftlinie, die aber stramm gen Osten, woher nicht nur heute der Wind weht. Erschwerend kommt hinzu, dass es hier nicht einen zuverlässigen Ostwind gibt, auf den man sich einstellen könnte, sondern ständig wechselnde und kreiselnde Winde aus allen Richtungen, dazu ein Boot, das zwar optisch wie ein Boot aussieht, sich aber wie ein Plättkahn verhält, weil die Riemen an der falschen Stelle angeschlagen sind, dazu eine Dolle lose herum lommelt und die Riemen selber die falschen sind; dafür können sie nichts, aber wenn man erst mal auf See ist, ist es zu spät, sich und seiner Riemenauswahl Vorwürfe zu machen. So kreiseln wir eher als Spielball der Winde, fluchend und ächzend, wir, das heißt der Ruderknecht, während die Gästinnen auf dem Sonnendeck die mindestens doppelt so lange Strecke offensichtlich bester Laune genießen.
Ferienparadiese W
Badenixen ir kreiseln, kurven und treiben vorbei an schmucken und nagelneuen Gästehäusern mit piekfeinen Rasenflächen, alles bestens gepflegt, eines einladender als das andere, eine geheime Welt, die uns beim Dorfspaziergang verborgen geblieben war. Schlicht sieht das dort alles aus, aber hier, von der Wasserkante aus gesehen, schlüpft aus dem graubraunen Entlein ein stolzer Pfau. Polen ist kein Arme-Leute-Land mehr, Polen hat sich auf den Weg gemacht. Das genießt sogar der Ruderknecht. Die Idylle perfekt machen die vielen Fischer, die auf jedem Steg sitzen und die Stille genießen. Wenn man das hier malen wollte, müsste man es verkitscht wie Spitzweg machen oder mit feinem Strich wie Monet. Trotzdem müssen wir eingestehen, dass unsere Annäherungen ans Ufer mehr den nautischen Fehlleistungen von Schiff und Skipper als unserer Neugier zuzurechnen sind. Aber wir kommen an am anvisierten Badestrand und lassen Hunde und Chefin zu Wasser. Das Badeplätzchen haben wir für uns und so können sich die drei hemmungslos austoben und bitten sogar den Knecht zu sich ins Bad, damit er seine glühenden Schultern kühlen möge. Mit dem Großteil des Windes im Rücken und den Tücken des Bootes zunehmend vertraut, geht die Rückreise dann flotter von der Hand, oder vom Riemen, und um kurz vor 19 Uhr sind wir wieder beim Franz zurück.
Inzwischen sind wir alleine auf dem Platz, richtige Platzhirsche also. Wir genehmigen uns einen Ankerschluck in Form eines kleinen feinen Weißen. Das Feuerwerk zum Strandzauber liefert Fianna, die mittels einer Festmacherleine an einem Rad des Womos angehängt ist, weil sie keine Ruhe geben will und dazu neigt, das Dorf und die Dorfjugend zu konsultieren. Wir haben keine Lust, dauernd hinter ihr her zu sein und sie am Ausbüxen zu hindern, weil sie ihre Neugierde nicht zügeln kann. Jetzt liegt sie also da und döst und schmollt. Da betritt ein vierbeiniger Fremdling ihr Grundstück durch das angelehnt Tor zum Steg. Sekundenbruchteile liegen nur zwischen Ruhe und Randale, Fianna schießt hoch und stürzt sich, begleitet von einem fetzenden Schnalzer auf den Hausfriedensbrüchler – die Leine mitsamt ihrem von der Mama Franzi ererbten Halsband bleiben zurück; die schon etwas in die Jahre gekommene Halsung hat dieser Urgewalt nicht standgehalten. Die Festmacherleine und der Karabiner überleben den Gewaltausbruch. Und weil bei Fianna vieles nicht so heiß gefressen wird, wie es vom Herd kommt, weil sie ein überaus verträgliches Hovawart-Exemplar ist, nimmt auch der Eindringling keinen Schaden; viel hat nicht gefehlt und sie hätte ihn zur Happy Hour eingeladen. Aber das gute Stück, das Halsband, ist hinüber und fortan wird die stürmische Nachwuchsheldin sich mit einer Kette anfreunden müssen, die, das machen wir ihr eindringlich klar, bestimmt nicht nachgibt, sollte sie weitere Ausfälle dieser Art im Sinn haben.
Nach diesem Intermezzo brutzeln wir uns Rigatoni mit Tomaten-Thunfisch-Oliven-Soße zusammen, was eben die Bordlogistik so hergibt und genießen unser Abendmahl draußen im Freien.
Abendstimmung am Steg
Fianna im Abendlicht Anschließend pilgern wir zum Steg, lassen uns irgendwie schwerelos auf die Stühle nieder und begleiten zufrieden das Tagessterben. Und wieder ist Fianna die Spielverderberin, allerdings auf eine Art, die uns mehr belustigt als nervt: Sie ist hier auf dem Steg völlig neben der Kapp‘. Kräuselwellen im schwarz-schwappenden See, überall um sie herum springende Fische, Wasser das glucksend unter ihr gurgelt, dazu immer länger wachsende Schatten - polnischer Gespenster. So etwas gibt es an ihrer Mangfall nicht, das alles ist schrecklich bedrohlich und ein Angriff auf ihre vibrierenden Nerven. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass sie auf einem Steg steht, aber das fremde Gewässer, die seltsamen Laute in fortschreitender Dunkelheit, das treibt sie um, das lässt sie nicht ruhen, Bedrohungen überall. Sie fiemt, sie keift, sie bellt, hält Zwiesprache mit dem Wasser, tänzelt umher, immer in Gefahr, gleich vom Steg zu purzeln. Da wachsen in uns die Bedenken, ob dieses Araberblut die am Ende des Urlaubs anberaumte Zuchttauglichkeitsprüfung bestehen kann. Die Chefin bleibt dennoch gelassen, der Chef skeptisch und Anouk ist das alles eh wurscht; sie fläzt auf dem Steg und pennt.
Um 21 Uhr machen wir Haushalt, spülen unser Abendgeschirr und machen klar Schiff im Franz. Danach setzen wir uns noch einmal auf den Steg mit einem Schlummertrunk und geben dem sinkenden Tag die Ehre. Trotz des Wassers gibt es hier keine Mücken. Das macht das Leben umso leichter. Wir sind völlig eins mit dem vergangenen Tag, wenn auch die Kriegserinnerungen naturgemäß bleiern waren. Die Mädels sind auch zufrieden, haben den Platz und den Steg und den See in ihren Besitz genommen und es ist immer noch angenehm temperiert. Tagsüber hatten wir wieder um die 24°C, teilweise war es etwas windig, jetzt ist alles außer uns eingeschlafen und ruht in Frieden. Dieser erste echte Ferientag war schon mal ein Haupttreffer (außer dem Kahn, diese nautischen Missgeburt, die neben uns am Ufer ruht). So kann’s weitergehen.
Um 22 Uhr schließen wir dem Franz die Augen von innen.
Freitag, 15. August 2014, Mariä Himmelfahrt
Morgenstimmung am See
Anouk morgens am Steg Um kurz nach 7 Uhr hüftschwingt die Chefin mit Kaffee und Anouk zum See: Morgenträume pflegen. Dabei müssen die beiden miteinander alleine sein, Off Limits fürs Personal und den halbgaren Nachwuchs. Fianna ist darüber so beleidigt, dass sie nicht mal einen Versuch macht, für die kleine morgendliche Krauleinheit zum Chef ins Bett zu kriechen, worauf sie sonst kaum einmal verzichtet.
Der Morgen ist wolkenlos und klar bei 17°C. Nachts hat es immer wieder etwas geregnet, aber der Tag scheint sich etwas vorgenommen zu haben.
Gegen 8 Uhr bewegt auch der Chef seinen ausgeruhten Körper zum See und nimmt die nun sichtlich ausgerastete und aufgekratzte Fianna mit. Jetzt darf man mit Frauchen in die Badewanne steigen. Natürlich muss das Personal dafür einigen Betrieb machen, weil die Damen nicht für nichts ins Wasser Du, der Chef wollte wissen, wie kalt es ist? steigen; ein Ball oder ein Stock muss schon mit im Spiel sein, nur so, schwimmen für lau gibt es nicht. Bei Anouk wissen wir ja schon lange, dass sie am liebsten nur kneippt oder eben Stöcke und Bälle apportiert, aber von Fianna hätten wir uns in dieser Hinsicht mehr erwartet, schließlich trug ihre Mutter nicht ohne Grund den Kampfnamen „Biberfranz“. Wieder mal ein Beweis, dass die Sache mit der Vererbung auf sehr wackeligen Beinen steht; sonst hat die Kleine nämlich jede Menge von ihrer Mutter mitbekommen, aber einfach nur schwimmen, weil es erfrischt und gut Laune macht, ist ihr fremd. Gar die Vorstellung, dass sie, wie in jungen Jahren Anouk, mit Anlauf vom Steg springen könnte, quittiert sie mit dem Blick eines streng gläubigen Moslems, dem man eine Leberkässemmel anbietet.
Mögen die Damen sich getrost in polnischen Wassern waschen, der Chefchauffeur gönnt sich lieber einen Kaffee am Steg, weil auch er keinen tieferen Sinn in einem Bad am frühen Morgen erkennen kann. Für ihn ist ein Bad zu dieser Tageszeit nicht erfrischend, sondern nur nasskalt.
Kurz nach 9 Uhr gibt es Frühstück, das Anouk tiefenentspannt unter unserem Tischlein begleitet. Schon den ganzen Morgen ist sie mit sich und der Welt so im Reinen, dass man sich Sorgen um ihre eigentliche Befindlichkeit machen muss, wenn man dieses Verhalten als Standard zugrunde legen würde. Die Zufriedenheit lebt und atmet gleichmäßig unter dem Tisch. Und da machen wir uns ständig Gedanken, ob wir der alten Dame vielleicht zu viel zumuten! Die ist rundherum glücklich und zufrieden. Schon immer hat ihr die Welt gehört, umso besser, wenn sie sie auch noch bereisen kann. Wir fremdeln ja alle nicht, aber sie ist wohl die einzige echte Kosmopolitin: sie ist überall sofort zuhause, wo es ihr gefällt (und wo gefällt es ihr eigentlich nicht?), auch wenn ihr das Fahren selbst immer weniger Vergnügen bereitet. Dafür entspannt sie danach umso großzügiger und demonstrativer.
Dann heißt es Abschied nehmen von Halina und Helmut Prockl. Wir zahlen für die zwei Tage 30 € (Strom, Dusche, Boot, Steg, alles inklusive) und haben überhaupt keine Beschwerden vorzubringen. Wer in diese Gegend kommt, findet hier freundliche und fürsorgliche Gastgeber und ein schnuckeliges Kleinod am See. (Halina Prockl, Wysoka 35, 66-300 Międzyrzecz, www.nocleginadjeziorem.rikos.pl). Um 11 Uhr machen wir uns auf den Weg und meinen, dass wir nicht zum letzten Mal hier waren.
Farewell Lorenzo Um 12:30 Uhr erreicht uns auf Höhe von Poznań (Posen) die Nachricht, dass unser Lorenzo, der alte Kater, gestorben ist. Er war schon lange krank, seit Monaten nur noch Haut und Knochen, aber dennoch lebhaft und mit einem gesegneten Appetit versehen. Einmal hatte er wohl einen leichten Schlaganfall, von dem er sich wieder vollständig erholt hatte. Allerdings hatte er schon seit Monaten nur noch Durchfall, was sicher nicht nur für uns eine unangenehme Begleiterscheinung seines Verfalls war. Am Montag waren wir mit ihm noch bei unserem Doc, um abzuklären, ob wir ihn vielleicht erlösen müssten, falls er leide und Schmerzen habe. Der Doc beruhigte uns und versicherte, dass er keine Schmerzen habe und auch keinen Tumor; es sei ein langsames Versagen der Organe, das ihn so hinfällig mache und überlagernde Bakterien im Darm, die für den Durchfall verantwortlich seien. Lange lebe er sicher nicht mehr, das sei schon klar, aber für eine Erlösungsspritze gäbe es keinen Grund; wir sollten ihn einfach in Frieden sterben lassen. Für seinen Durchfall bekamen wir noch ein pflanzliches Pülverchen, das wir ihm ins Futter geben sollten. Und so haben wir unserem Lorenzo ins Gewissen gesprochen, er solle durch- und die Ohren steif halten, bis wir wieder kämen - und er hat es uns fest versprochen, der alte Herzensmanipulator. Der Chef hat seine Versprechen in Zweifel gezogen, die Chefin, Optimistin wie immer, hat ihm geglaubt. Leider hat der Chefskeptiker Recht behalten. Gestern Abend, so berichtet man uns, sei er noch völlig unauffällig gewesen, heute Morgen dagegen ein sieches Elend. Mittags lag er dann tot in Anouks Lieblingsbett, das er sich wohl für die letzten Stunden ausgesucht hatte. Wir vermuten, dass er einen weiteren Schlaganfall hatte, dem er nichts mehr entgegen zu setzen hatte.
Wir sind völlig durch den Wind, nicht weil er gestorben ist, das war abzusehen, aber dass wir ihn dabei allein gelassen haben, dass wir in Urlaub gefahren sind, anstatt ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Und dann macht es uns auch der Himmel nicht gerade gnädig und schickt uns aus dem Radio wenig später Eric Claptons „River of Tears“. Es ist zum Heulen. Es ist Totenstille im Franz.
Wir möchten uns an dieser Stelle ganz innig bei unseren Katzenversorgern bedanken, die unversehens zu Loro-Entsorger geworden waren! Vielen herzlichen Dank für das letzte Bett, das ihr ihm zwischen unseren Rhododendren geschaufelt habt, vielen Dank auch für den Blumenschmuck auf seiner letzten Ruhestätte. Und vielen Dank auch, dass nicht nur wir geheult haben, sondern auch euch die Stimmen am Telefon erstickten. Mit unserem Lorenzo Il Magnifico haben wir wahrscheinlich den sanftesten Kater, den man sich denken kann, verloren, einen Herzensbrecher, der bis zum letzten Augenblich die Welt aus riesengroßen Augen bestaunte, einer der kein Wort für „böse“ hatte. Mit 17 Jahren hatte er genug von dieser Welt gesehen und die riesengroßen Spiegeleieraugen für immer geschlossen. Farewell, Loro. Es wird uns sehr fehlen, dass keiner mehr an unseren Halskettchen zupft.
Die Fahrt verläuft fortan schweigsam und bedrückt, uns ist gerade nicht nach Touring und Cruising. Uns ist nach Heuling und nach Schlucking.
Um 14:35 Uhr steuern wir Żnin und eine dort nachgebaute Siedlung aus der Eisenzeit an. Für Liebhaber gibt es dort auch eine Schmalspurbahn und ein Eisenbahnmuseum. Wir aber haben es auf die Eisenzeit-Siedlung abgesehen, sind allerdings nicht die einzigen mit dieser grandiosen Idee: Es ist Feiertag, Mariä Himmelfahrt, da liegen auch die Polen nicht den ganzen Tag auf den Knien und beten. Hier herrscht Ausnahmezustand, zumal ja auch das Wochenende vor der Tür steht und sich ein Ausflug richtig lohnt. Für uns und unseren ellenlangen Franz gibt es hier offensichtlich keinen Platz mehr, und ehrlich gesagt, haben wir auch nicht mehr den Nerv, nach irgendeiner passenden Lücke zu suchen, die uns die immer hilfreichen Polen sicher organisiert hätten. Nein, wir fahren ohne Stopp weiter. Wir gehen heute schon durch eine bleierne Zeit, wozu brauchen wir da noch die Eisenzeit.
Um 16:20 Uhr rollen wir nach rund 300 Kilometern auf den Campingplatz „Tramp Kemping“ (Nr. 036) in Toruń (Thorn), Position N 53° 00‘ 01‘‘ E 18° 36‘ 31‘‘. Passend zu diesem trüben Tag, geht bei unserer Ankunft ein sintflutartiger Platzregen nieder. Das erinnert uns irgendwie an die Geschichte, dass anlässlich des Ablebens des Jesus von Nazareth, die Vorhänge im Tempel zu Jerusalem gerissen sein sollen. Dass unser Loro also demnächst zu Füßen unseres Herrn sitzen und diese wärmen wird, lässt uns fast vor Ehrfurcht erstarren; als ob wir heute nicht schon starr genug wären.
Tatsächlich wären wir auch ohne die traurige Lorenzo-Nachricht elend kaputt: Auf diesen Straßen, zumindest denen, die wir heute unter den Reifen hatten, ist man nach 300 Kilometern erledigter als sonst nicht mal nach tausend. Kopfsteinpflaster aus fünf Jahrhunderten oder tausendmal, häufig zwei- und dreimal übereinander geflickte Asphaltpisten, zermürben selbst einen fröhlich gestimmten Urlauber. Doppelt genäht hält in diesem Fall ganz sicher nicht besser. Was auf solchen Wegstrecken als Fahrbahn ausgegeben wird, ist eine Abfolge erodierter Termitenhügel, gegen die jede Fahrt über Kopfsteinpflaster wie eine auf Luftpolstern anmutet. Diese Pisten lassen jeden Quadratzentimeter des Aufbaus unseres Franz‘ in seinem eigenen Rhythmus schwingen, seine Nachbarn in die Seite rempeln und sie in den Hintern treten. So entsteht eine franzzerreißende Schwingungskakophonie, dass einem das Frühstück aus den Ohren kommt. So etwas haben wir unserem Franz noch nie zugemutet - und unsere Vorgänger schon gleich zweimal nicht; wer in acht Jahren 47.000 km fährt, bewegt sein Heiligtum nicht auf Fahrwerkstestpisten. Dabei bewegen wir uns nicht auf landwirtschaftlichen Nutzwegen, sondern auf dem, was wir Bundesstraßen oder Landstraßen nennen würden.
Um keinen falschen Zungenschlag in die Straßenzustandskritik zu bekommen, wollen und dürfen wir nicht verschweigen, dass es in Polen auch Straßen der himmlischen Kategorie gibt, und diese haben sich seit unserer ersten Durchreise 2011 geradezu sprunghaft vermehrt. Es handelt sich dabei um Flüstertrassen, die selbst unserem in die Jahre gekommenen Franz nicht das leiseste Ächzen entlocken, die eine Schwerelosigkeit vermitteln, dass sogar Anouk aus ihrem / unserem Bett poltert, um sich zu vergewissern, dass sie nicht ohne ihr Wissen auf Himmelfahrt geschickt wurde. Solchen Gleitpisten möchte man am liebsten Penatencreme auftragen, um ihnen durch Franzens abgelatschte Reifen kein Leid zuzufügen. Nein, Freunde, uns würde spontan in ganz Deutschland keine Straße einfallen, die mit diesen polnischen Schwebepisten konkurrieren könnten. Außerdem, so wird uns plötzlich klar, sind diese Traumstraßen ein vitaler Beitrag zur europäischen Friedenssicherung; denn kann man sich jemanden vorstellen, der barbarisch genug wäre, über diese verkehrsinfrastrukturellen Paradekissen Panzer rollen zu lassen? Dazu reicht unsere Phantasie nicht aus.
Unabhängig von der Qualität des Geläufs, gesellt sich zum polnischen Fahrstress alle paar Meter ein Dorf und das heißt: runter bremsen! An jeder Abzweigung und Einmündung wird man auf 60 km/h oder gar 50 km/h abgebremst, je nachdem ob sich dort auch noch eine Bushaltestelle, ein Fußgängerüberweg, ein Kindergarten oder sonst etwas Schützenswertes dazu gesellt.
Solche Querungen, Einmündungen, Bushaltestellen, Fußgängerüberwege, Schulen und Kindergärten gibt es alle paar Meter! Mit Fahren hat das kaum noch etwas zu tun, höchstens mit der hohen Kunst des verzögerungsfreien Bremsens. Wenn einem dabei auch noch ein LKW im Kreuz hängt (ja, auch am heiligen Feiertag!), den das alles wenig interessiert, nicht der Fußgängerweg und auch nicht das Bushäuschen, treibt einem die Ferienausfahrt den Schweiß hinter den Ohren aus und man bekommt das beklemmende Gefühl, plötzlich aktiver Teil des amerikanischen Spielfilms „Convoy“ von Sam Peckinpah zu sein, in dem aus dem ächzend cruisenden Franz ein gehetzter Rubber Duck wird.
Der Schrei von Edvard Munch Und zu alledem kommen die allgegenwärtigen Spurrillen (pol.: Koleiny, eines der ersten polnischen Wörter, die man lernt), Spurrillen so tief, dass man echte Sorge haben muss, von der Straße katapultiert zu werden. Schlaglöcher, Querfräsungen, 10 cm tief und ohne Vorwarnung, dass der ganze Franz ein einziger Aufschrei ist. Ein Foto von Franz, jetzt geschossen, würde ihn wie das Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch zeigen, eine gequälte Kreatur, die kein Entkommen und keine Rettung sieht.
Und dann gibt es auch in Polen Bahnübergänge, viele Bahnübergänge, zumindest scheinen sie uns zu zahlreich zu sein, um sie zu ignorieren. Diese Bahnübergänge sind kaum einmal nivelliert, eher schon zutiefst niveaulos, und werden zwar als Bahnübergänge angekündigt, manchmal auch mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40 km/h, aber erstens sind wir nicht gewohnt, dass Bahnübergänge grundsätzlich eine Attacke auf das Fahrwerk darstellen, was uns sträflich sorglos macht und zweitens sind für die meisten dieser Achsschenkelbrecher 20 km/h noch viel zu viel.
So gesehen ist Polen kein schönes Reiseland; es geht an die Substanz von Mensch und Material. Aber ‚so gesehen‘ ist nun mal nicht die ganze Sicht, sondern nur ein Ausschnitt. Der Rest des Bildes versöhnt uns schnell wieder.
Nun also sind wir nach all den Herz- und Hinternstrapazen in Toruń angekommen und liegen nur knappe 500 Meter vom Weichselufer entfernt. Zwischen uns und der Wisła erstreckt sich ein dichter Wald und viel Unterholz, das kaum zu durchdringen ist und auch nicht unbedingt dazu einlädt: wer weiß, was sich dort alles findet und wer sich dort hinter jedem Busch erleichtert hat. Die andere Seite des Platzes wird von Straße und Bahn begrenzt. So gesehen ist der Campingplatz kein Schokostückchen, aber für eine Nacht, vor allem wegen seiner exzellenten Lage zur Altstadt, trotzdem zu empfehlen. Wir machen gleich einen kleinen Spaziergang, damit sich die Hunde die Beine vertreten und wir unsere Knochen und Knöchelchen wieder in die korrekte Position rütteln können. Wir trödeln ein Stück hinunter in Richtung Wisła unter die Brücke. An einem schmuddeligen Seitenarm der Wisla, dem Mała Wisełka, machen wir kehrt, bevor die Hunde auf die Idee kommen, in diese ölverschmierte Kloake zu tauchen.
Um 17:45 Uhr sind wir wieder zurück. Der Campingplatz ist eine Art italienische Exklave; man fragt sich dann immer: Wie entsteht so etwas? Warum treffen sich alle Italiener ausgerechnet auf diesem Platz? Zu diesen gibt es noch ein paar Holländer und Deutsche sowie eine versprengte Minderheit Franzosen. Polen gibt es hier gar keine.
Blick auf die Altstadt von Torun Wir machen uns nur noch schnell stadtfein und treten für einen Stadtbummel vor den Franz. Damit wir auch den Schirm nicht vergessen, haut uns der gütige Herr vom Himmel noch schnell einen Regenguss vor die Füße, dann ist wieder alles im Lot und der Himmel blau. Hinauf auf die Brücke, hinüber, etwa einen Kilometer, und kurz darauf stehen wir in der Altstadt von Toruń.
Das Altstädter Rathaus Toruń, die Geburtsstadt von Kopernikus, ist eine wirklich schöne und sehenswerte alte Stadt, Anfang des 13. Jahrhunderts unter der Verwaltung des Deutschen Ordens entstanden. Dementsprechend viele Touristen gibt es hier. Und leider sind auch die Angebote so: viel Pizza, Sandwiches und Ramsch aller Kategorien. Was wir nicht finden, übrigens auch später nirgends finden, sind die kleinen Snacks auf die Faust, die man von zuhause kennt, eine Bratwurst oder eine Fischsemmel etwa. Normalerweise sind das nicht die Kriterien, nach denen wir eine Stadt besichtigen und bewerten, normalerweise ist uns so etwas völlig wurscht, aber die Cheflogistikerin hat einen dringenden Futterbedarf: Ihr ist nämlich ziemlich übel und sie meint, eine Kleinigkeit zwischen die Zähne würde ihr guttun. Aber außer Eis und Kebab ist da nix, und das fördert mehr den Brechreiz, als dass es ihn bekämpfen würde.
Das Kopernikusdenkmal Aber nichts ist so schlecht, dass es nicht auch eine gute Seite hätte: Über die Suche nach etwas Verzehrbaren, sehen wir die ganze Altstadt, schauen in jeden Winkel, in denen sich bekanntlich die schönsten Überraschungen finden. Nicht so in Toruń. Wir machen
Der Schiefe Turm natürlich dem Kopernikusdenkmal unsere Aufwartung (lat. Inschrift: Nikolaus Kopernikus, Toruńer, bewegte die Erde, hielt die Sonne und den Himmel an), stehen vor seinem Geburtshaus, werfen einen Blick in die Heilig-Geist- und die Marienkirche, staunen über den Schiefen Turm, den der Legende nach zwei völlig zerstrittene Brüder bauten, die sich auch während der Bauarbeiten keines Wortes und keines Blickes würdigten, worauf sie am Ende feststellen mussten, dass sie ihn schief errichtet hatten. Und so müssen noch heute ihre Geister bis ans Ende der Welt den Turm stützen. Schöne Geschichten – aber eine Leberkässemmel wäre uns jetzt lieber. Eine Butterbreze täte es auch schon, aber wir finden nicht einmal einen Bäcker! Eine Stadt mit 200.000 Einwohnern und kein Bäcker?!
Nachdem wir die ganze Altstadt, erstens rein touristisch und zweitens auf Snack-Suche abgeklappert haben, der Chefin Übelkeit und Appetit darüber aber nicht schwanden, wählen wir das Restaurant „Nr.9“ fürs Abendmahl. Gediegen ist es, aber zurückhaltend geschmackvoll, kein Protz- und Plüschtempel, eher ein Bauhaus-Ableger, nicht aufgedonnert, sondern geschmackvoll schlicht. Der Speisekarte entnehmen wir, dass Pavarotti dieses Lokal zu einem der hundert besten Lokale Polens erhoben hat. Der muss es ja wissen, demnach gerade recht für Lorenzos Leichenschmaus.
Wir durchstöbern die Speisekarte. Die Finanzministerin bleibt bei deren Lektüre ungewohnt schweigsam und verschlossen. Dann meint sie über den Kartenrand hinweg: „Wenn uns das zu teuer ist, habe ich kein Problem wieder zu gehen“. Der geistig bereits angefütterte Chauffeur versteht nicht, seine Verdauungsmechanismen sind bereits in Betrieb, er speichelt schon: Was soll an dieser Karte zu teuer sein? Spaghetti mit Meeresfrüchten 32 zł, eine gemischte Vorspeise mit verschiedenen Schinkensorten, Tomatentapenade, Pastete und Firz und Furz: ebenfalls 32 zł. Das ist doch bei uns nicht billiger, im Gegenteil. Zuhause kostet doch jede Pasta mit Tomatensoße schon 7 €. Doch dann schwant dem Chefmystiker und Entschlüsselungsexperten des Blues etwas: Die Speisekarte weist keine Währung aus, also: Spaghetti Meeresfrüchte (polnisch und englisch) 32. Gemischte Vorspeise (….) 32.
„Warum“, so will er wissen, „meinst du denn, dass das zu teuer ist? Die rechnen doch hier in Złoty, den Euro haben sie noch nicht eingeführt, und 8 € für so eine raffinierte Vorspeise ist doch nicht überteuert. Und ein Sirloin-Steak für 85 zł sind auch nicht mehr als gute 20 €. Da musst du zuhause weit gehen, bis du dafür ein leckeres Roastbeef kriegst“. Da schmatzt ein ganzes, blutiges Sirloin-Steak von der Brust der Reiseleiterin, die doch tatsächlich geglaubt hatte, die Preise wären in Euro ausgewiesen. Jetzt geht es ihr sichtbar besser, mental zumindest, körperlich noch immer nicht.
Wir wählen die Vorspeise mit Käse, Schinken, Tapenade, Pastete und all den kleinen Schweinereien, dazu ein Kaninchenschenkelchen mit Gemüse und Kartoffelbrei für die Dame und eine Entenbrust auf Granatapfel-Apfel-Sauce, dazu Blaukraut und Kartoffelgratin für den Herren. Dazu zwei Bier, ein Viertel Wein und ein Wasser machen später nach polnischer Topgastronomie 155 zł.
Der Chefin geht es hinterher trotzdem nicht besser; das Kaninchen ist größtenteils in des Chauffeurs Bauch gelandet. Ob ihre Unpässlichkeit an Loros Ableben liegt oder ob sie sich irgendetwas anderes einfing, wissen wir nicht.
Eine interessante Beobachtung machen wir aber, während wir uns dem wirklich hervorragenden Menü widmen: Um uns herum sitzen viele Leute, die nichts essen, genau genommen, sind wir die einzigen, die speisen. Die meisten trinken Kaffee und essen einen Kuchen dazu. Abends, in einem Speiselokal der Premiumklasse? Bei uns eigentlich undenkbar. Diese Beobachtung bestätigt sich bei uns später noch öfter: Die Polen sind Süße, auch abends und anstatt. Und gerne in guter Gastronomie.
Toruń bei Nacht und Regen Als wir das Restaurant verlassen, schüttet es wie aus Eimern. Auf der Weichselbrücke bekommt die Reiseleiterin eine Powerdusche von einem Pkw ab, die sie bis auf die Haut einweicht. Diese Brücke macht den Löwenanteil des etwa 1,5 km langen Fußwegs zwischen Campingplatz und Altstadt aus. Und auf ihr gibt es kein Entkommen, auf ihr ist man den Autoduschen schutzlos ausgeliefert.
So eingeweicht und durchweicht kehren wir um 21:30 Uhr zurück zu den ungeduldig wartenden Mädels, denen, zu ihrem Leidwesen und anders als beim Herrn, kein Kaninchen und keine Ente den Bauch wohlig wärmt. Die Zwei haben Schmacht. Also bekommen auch sie ihren Lorenzo-Farewell-Schmaus. Dann bringen wir gemeinsam die sieche Chefin ins Bett, Anouk legt sich in ihrer unvergleichlichen Fürsorge zu ihr und wärmt ihr den Bauch. Dieser Tag ist mehr als verdient gelebt: Zuerst Lorenzos Himmelfahrt an Mariä Himmelfahrt – und dann noch eine malade Reiseleiterin.
Draußen regnet es weiter. Um 22:15 Uhr hat auch der Chauffeur genug für heute und von der Welt. Die wohlige Ente und das zarte Kaninchen tun seinem Leib wohl und spenden Trost und Hoffnung für den verlorenen Sohn in seinem kühlen Grab.
Und morgen sieht die Welt bestimmt gleich wieder rosiger aus.
Samstag, 16. August 2014
Das Notbett
Unzertrennlich - Der Chef ist ausgelagert Der erste Morgeneindruck: von rosig kann keine Rede sein; es hat fast die ganze Nacht durchgeregnet. Und der Reiseleiterin geht es auch nicht besser. Am sehr frühen Morgen zieht sie aus dem gemeinsamen Bett aus, weil sie mit Herr und Hund nicht genug Platz für ihre augenblicklichen Bedürfnisse hat. Sie bezieht den umgedrehten Beifahrersitz und Fiannas Seitenbank. Bequem ist das sicher nicht, aber solitär. Fianna nutzt die Gelegenheit und tauscht mit ihr den Platz. So ruht jetzt der Herr mit zwei Hunden im Kuschelbett. Also: Ihm geht es den Umständen entsprechend gut.
Um 7 Uhr nimmt die Reiseleiderin etwas Tee zu sich und leidet darauf schon etwas weniger.
Um 8 Uhr besteht sie dann darauf, wieder in ihr Bett einziehen zu dürfen, aber nicht mit der vollen Belegschaft. Daraufhin tauscht der Chauffeur seinen Platz mit ihr und quetscht sich auf das Notlager. Die Einzige, die ihren Platz den ganzen Morgen über behauptet, ist Anouk. Sie denkt nicht daran, etwas abzugeben, was ihr zusteht.
Jetzt hat es auch aufgehört zu regnen, es ist grau und trüb bei etwa 14° C. Und es wird Zeit Toruń zu verlassen. 58 zł berappen wir für diese verregnete und qualvolle Nacht, wofür der Platzwart zugegebenermaßen nichts kann. Aber eines wird immer deutlicher: Verglichen mit dem patinagoldenen Westen ist das Leben in Polen ein Schnäppchen; die Campingplätze sind es nicht.
Die Chefin verzichtet heute aus naheliegenden Gründen auf ein Frühstück und der Chauffeur begnügt sich mit einem Frühstück auf die Faust, versorgt sich und den Franz und um 11:25 Uhr verlassen wir Toruń.
Um 13:50 Uhr machen wir einen Stopp bei Intermarché in Ostróda, um endlich unsere Vorratskammern zu füllen, die bislang noch immer die Mitbringsel aus der Heimat beherbergten und langsam zur Neige gehen. Wer jetzt meint, dem Chronisten sei ein Fehler unterlaufen und er befände sich geistig wieder einmal in Frankreich, der irrt; wir kaufen tatsächlich bei Intermarché ein. In Polen sind alle Ketten anzutreffen, die es auch im Westen gibt und die Franzosen machen sich richtig schön breit. Das kommt dem Chauffeur sehr entgegen, weil natürlich auch der Supermarkt wie in Frankreich aufgebaut ist und man die Wege fast schon im Schlaf kennt. Eigentlich soll es vor allem Kamillentee für die Reiseleiderin geben, ein bisschen Hochprozentiges gegen die Infekte, etwas Brot und was man eben so braucht. Am Ende ist der Einkaufswagen voll und die Kassiererin erbittet sich 124 zł also gerade einmal 30 €. Dafür hätten wir in Toruń eben mal eine halbe Nacht verbringen dürfen.
Die Chefin verschläft den Einkauf und erwacht erst wieder, als der Logistiker bei strömendem Regen und Gewitter zurück kommt. Wir wettern das Wetter ab, essen eine Kleinigkeit, schließlich ist die Rekonvaleszente noch nüchtern, ihr Kamillenteechen bekommt sie, sehr zu ihrem Missfallen, auch noch eingeflößt, und ein kleines Schnäpschen, eine Art polnischem Limoncello, der ihr vorzüglich mundet und fast augenblicklich einen Großteil ihrer Lebensgeister wieder erweckt. Der Chauffeur ist nicht nur ein gewiefter Kurvenakrobat, sondern auch ein stark unterschätzter Medizinmann und Druide, Spezialgebiet Destillierte Kräuterheilkunde.
Um 15 Uhr geht es dann weiter in Richtung Olsztyn (Allenstein) und den Ukiel-Campingplatz am Ukiel-See. Was uns dort erwartet schlägt alles bisher Gesehene um Längen. Schon die Anfahrt lässt Zweifel aufkommen, ob unser TomTom noch bei Trost ist oder sich auch einen Schluck Limoncello genehmigte. Nachdem wir in Olsztyn von der ul. Baltycka abgebogen waren, wird die Straße immer enger, bewegt sich aber noch in zivilisatorischem Rahmen, was nicht verwundert, weil dort noch echte Menschen ihre Behausungen haben. Dann verjüngt sich die Asphaltpiste und wird zum Sandweg mit einer Querrippung wie ein Waschbrett. Aus der Waschbrettpiste wird eine Schotterpiste, die sich nun langsam eine Anhöhe hinauf schwingt, und kurz vor dem mutmaßlichen Ziel wird die Schotterpiste zu einer von Camping Ukiel - und keiner da Menschenhand geschöpften Betonrampe, eher schon eine Steilwand, die den Franz zu einem Kraftakt zwingen, steil bergan, auf Betonschollen, dass er sich wieder auf das Waschbrett zurück gewünscht haben dürfte. Und dann stehen wir oben auf einer Waldlichtung über dem See – und befinden uns in einem Paradies: lockerer Kiefern- und Birkenbewuchs, kaum fünf Womos und Caravane auf dem ganzen Areal und himmlische Ruhe. Wir suchen einen Platz mit Stromanschluss und müssen die Erfahrung machen, dass Strom an solch exponierten Stellen nicht für nichts zu haben ist, weil der griesige Sandboden den Franz fast versinken lässt. Wir hoffen jedenfalls, dass es nicht regnet, sonst kommen wir da nicht mehr raus. Dann, um 16 Uhr, liegen wir nach rund 180 km fest, Position N 53° 47‘ 11.30‘‘ E 20° 23‘ 52.65‘‘ (Nr. 064).
Ukiel-Camping - wirst du noch oder vergehst du schon? Das hier ist definitiv kein Campingplatz, das ist ein Abenteuerspielplatz für solche, die einfach nicht erwachsen werden wollen und mit grauem Kopf noch den Traum von Robinson Crusoe träumen. Alles hier wirkt wie ein Kinderspielplatz, auf dem einmal eine Baumhaussiedlung entstehen soll. Man weiß nicht, ob die Gebäude, einschließlich der Sanitäranlagen, noch im Werden sind oder schon in den Zerfall übergehen, lKEA-Feeling im Ermland: Wirst du noch oder vergehst du schon? Wahrscheinlich ist dieser Platz tatsächlich eine Blaupause des Lebens: Alles im Werden und gleichzeitig schon wieder im Vergehen. Wir finden ihn einmalig charmant und herzhaft dekadent.
Der Ukiel-See Zu unseren Füßen liegt schwarz der Ukiel-See, ungefähr zehn Meter unter uns, was uns nicht nur einen atemberaubenden Blick beschert, sondern die Anlage von Mücken freihält.
Wir legen die Mädels vor die Tür und uns aufs Ohr, was Fianna gar nicht passt und Anouk sofort in einen tiefen Friedensschlaf sinken lässt. Viel anders kann das Paradies auch nicht ausgesehen haben, nur an Granatäpfeln und hinterhältigen Schlangen mangelt es. Um 17:30 Uhr machen wir einen kleinen Erkundungsgang hinunter zum See und zum so genannten Strand, der nicht mehr als ein kleiner, aber feiner Flecken Erde am Seeufer ist, aber seinen Zweck erfüllt. Gelegentlich regnet und nieselt es immer mal wieder, aber das ist kein Grund zu Misslaune.
Anouk im Ukiel-See Hier ist nichts los, nur Gegend und Schöpfung, weshalb sich auch die Erschöpfung der Reiseleiderin langsam erschöpft und diese langsam, sehr langsam, wieder in die Rolle der Reiseleiterin schlüpfen kann, weswegen sie schon gleich mal wieder den Takt und die Marschrichtung vorgibt: hinunter zum See, Strand erkunden, baden(!), los, Bälle fischen, keine Müdigkeit vorschützen – es wird wieder, sie lebt wieder.
Später unterstützt sie diesen Genesungsprozess mit einer Hühnersuppe, der Chauffeur bescheidet sich mit dem Rest davon und einem Stück Brot. Wir haben schon gehaltvoller gelebt, aber Schlemmen war wohl nie das Charakteristikum des Paradieses, sonst wäre es ja nicht um einen Granatapfel, sondern um eine Wildscheinkeule gegangen.
Nein, heute ist nur noch Heute, kein Gestern und kein Morgen und nichts mehr zu erledigen und auch nichts mehr zu müssen und zu sollen. Wir starren nur noch in die Fernsehröhre und haben keine weiteren Ansprüche ans Leben. Man könnte hier auch sterben und keiner merkt’s.
So weit ist es aber noch nicht. Um 22:15 Uhr geht erst mal nur das Womo-Licht aus. Draußen lichtet es sich jedoch auf zu einem sternenklaren Firmament bei 14° C.
Sonntag, 17. August 2014
Raumgreifende Stille Kurz vor 9 Uhr erheben wir uns ganz langsam. Hier dreht sich alles langsamer, das spürt man schon am ersten Tag. Hier stehen Leute einfach nur im Gelände und schauen, rauchen dabei vielleicht eine Zigarette, manchen ist sogar das schon zu viel Action. Es ist, als ob man durch einen Teilchenverlangsamer geschickt worden wäre. Wir haben keinen Druck mehr, irgendetwas erledigen zu müssen. Das Leben ist gemächlich geworden. Die Temporeduktion hat der Reiseleiterin gut getan, sie ist zwar noch nicht wieder die alte, aber auf bestem Weg dahin. Kaum anzunehmen, dass sie diese Erkenntnis mit in den Alltag nehmen wird.
Die erste Tat heute ist, den Hunden einen kleinen Morgenspaziergang zu gönnen. Um 10 Uhr nehmen wir dann unser Frühstück im Freien ein, das aber ziemlich verweht ist; es windet, der Himmel schmutzelt weißblaugrau wolkig bei etwa 18° C. Nichts, was uns zur Eile gemahnen würde.
Spaziergang mit Fianna am Ukiel-See Erst um die Mittagszeit machen wir uns mit Fianna auf den Weg, die damit droht, uns die Reifen durchzunagen, wenn sie nicht bald Bewegung bekommt. Kreuz und quer, am See entlang, streifen mit ihr herum. Dann über Stock und Stein, unter Kiefern, mächtigen Eichen und schütterem Birkengehölz
Anouk im Himmel der Träume oberhalb und nördlich des Campingplatzes. Wenn wir nicht in naher Ferne auf der Anhöhe luxuriöse neue Anwesen ausmachen würden, müssten wir annehmen, seit der letzten Eiszeit die ersten Menschen zu sein, die sich hier ihren Weg bahnen. Für die fünfeinhalb Kilometer brauchen wir rund eineinhalb Stunden und sind gegen 13:30 Uhr wieder zurück. Fianna ist fürs erste zufrieden und Anouk schläft wie ein besoffener Kosak.
Wir sitzen draußen im windigen Ermland herum, dösen, lesen und sinnieren. Weil die vorherrschende Wetterlage weiterhin aus Sonne, Wolken und Wind besteht, letzerer immer munterer wird, zieht es uns gegen drei Uhr, trotz 21° C, in Franzens Obhut. Wir machen die Türen zu und schauen uns die Leichtathletik-WM an, eine sehr unterhaltsame Nachmittagsbeschäftigung, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht dem sportlichen Treiben zuwendet, sondern den vielen kleinen Wettspielen, welcher dieser Helden wie viel von welchem Chemiemix in sich trägt. Schade nur, dass die Auflösung der Rätsel immer erst sehr viel später oder gar nicht geboten wird. Da ermüdet sogar diese Nachmittagsbeschäftigung und man wendet sich wieder dem guten, alten Buch zu – oder schreibt einen Reisebericht über Masuren, beispielsweise über einen Tag am Ukiel-See.
Ein schwieriges Fährtengelände ... F
... zu aller Zufriedenheit bewältigt ianna darf dann später noch eine Fährte suchen, auf einem Gelände, welches vorzugsweise aus Sand und dürrem Gras besteht. Aber die Chefin hat kein Mitleid: Wäre sie ein Kanarienvogel, müsste sie singen. Als Hund muss sie etwas Sinnvolles tun, z.B. eine Fährte suchen, anstatt vor Langeweile Reifen zu fressen. Und die kleine Schwarze hat, das wissen wir ja, mächtig Spaß an der Schnüffelei, und je gemeiner die Herausforderung, desto mehr kniet sie sich rein. Eben, deswegen darf sie jetzt zeigen, was sie kann. Anouk dreht sich derweil mal auf die andere Seite.
Am späten Nachmittag, wir sitzen im Franz beim Dösen und Lesen, klopft es an der Tür und draußen steht der Herr dieses Anwesens, um seine Gebühren einzutreiben. Wir waren schon ganz gespannt, wie die Bezahlung hier geregelt ist, weil nicht nur wir, sondern auch niemand von den wenigen Anderen jemand gesehen hat, der Geld wollte. Nun also doch. Wie sich herausstellt, war die Eigentümerfamilie wegen des Feiertags in Familiendingen gebunden, Familienfeier zu Mariä Himmelfahrt, danach das Wochenende, da müssen die unwesentlichen Dinge eben zurückstehen. Aber dafür, das muss man sagen, stürzen sie sich nun alle zusammen auf die inzwischen doch etwas fragwürdig gewordenen Sanitäranlagen und wienern, als müsse es für den ganzen Rest des Jahres reichen. Wir melden anständig, wann wir gekommen sind und wann wir abzureisen gedenken, nämlich übermorgen, und zahlen dafür 150 zł. Egal, ob der Platz ein Abenteuerland ist oder eher bürgerlich betulich, die Polen haben dafür offenbar eine Art Standardtarif. Wenn es jemand geschickt gemacht hat, hätte er hier immerhin drei Tage kostenlos die Natur genießen können. Kann es sein, dass wir heute, tatsächlich die Letzten und ganz alleine sind? Schon, aber Absicht wollen wir deswegen niemandem unterstellen. Jeder hat seine eigene Reiseplanung. Außer uns, wir wissen nur, wohin wir wollen, aber nicht, ob wir es schaffen, weil wir halt immer wieder irgendwo hängen bleiben. Und dafür auch noch zahlen müssen.
Um 20 Uhr gibt es Hirsch und Wildschwein aus der Dose, Brüder jener Hirschen und Schweine, die wir uns an Ostern am Schloss Chambord und La Turballe in Frankreich zu Gemüte führten, und sie waren zwar etwas abgehangener, aber kein Stück wohlschmeckender. Dafür sind sie nun aber weg, die Hirschen und Wildschweine vom Lidl und werden auch keine Nachfolger mehr bekommen. Dieses Kapitel der Vorratshaltung ist für alle Zeiten geschlossen. Wenn gar nichts mehr geht, essen wir in Zukunft nur die Spätzle, das ist allemal befriedigender. Sogar ohne Soße.
Wir tun dann, was wir fast den ganzen Tag schon getan haben: lesen, dösen, Chronik schreiben, fernsehen. Anouk grunzt und Fianna liegt auf dem Rücken wie ein toter Kakerlak. Ja, wenn ihr meint, legen wir uns halt dazu…
So geschehen um 23 Uhr. Draußen bewegt sich unter einem samtschwarzen polnischen Himmel kein Blatt. Es hat noch immer 15° C. Morgen hätten wir es gerne andersrum: nachts den Wind und die Wolken und tagsüber … schau mer mal.
Montag, 18. August 2014
Gegen 8:30 kommt langsam Bewegung in den Franz. Nach den kleinen Morgenroutinen gibt es um 9:30 Uhr Frühstück. Es ist wolkig und windig, aber es reicht für ein Frühstück im Freien.
Mit dem Fahrrad um den Ukiel-See 10:30: Wir fahren mit Fianna einmal um den Ukiel-See, links herum, gegen den Uhrzeigersinn. Wieder geht es über Stock und Stein, über abenteuerliche Waldpisten, wo man sich ein Mountainbike wünschen würde. Aber die Fahrt um den See herum ist voller romantischer Reize, finstere Waldpassagen wechseln ab mit lichten Badeplätzen. Am Nordufer passieren wir die schon gestern aus der Ferne gesehenen Nobelvillen, die belegen, dass sich Polen immer weiter von seinem früheren Armenhaus-Image entfernt. Wir haben auf der bisher noch kurzen Reise schon viele solcher edlen Neubauten gesehen, mehr jedenfalls als dass man meinen müsste, es handele sich um Zufall oder um Ausnahmen. Den Beleg dafür bekommen wir dann am Südost- und Ostufer des Sees, die komplett neu gestaltet werden; ganze Siedlungen entstehen hier neu, Promenaden, Sightseeing-Bimmelbahnen, Minigolfplätze - Tourismus im Aufbau eben, aber dennoch nicht so alles erschlagend und zerstörend, wie man das sonst vielfach erlebt. Hier arbeitet man an einer touristischen Zukunft, ohne, wie es derzeit den Anschein hat, seine Traditionen und seinen Charme zu verraten. Für uns hat das allerdings Folgen: konnten wir bisher noch den Markierungen und Ausschilderungen folgen, gibt es solche nun nicht mehr. Wir tasten uns mühsam durch das Neubau-Labyrinth, hätten aber wahrscheinlich irgendwo in einem Schilfdickicht geendet, wenn nicht das Handy-Navi der Reiseleiterin entscheidende Hinweise geliefert hätte. Zwischen Baumaschinen und Bauzäunen musste früher ein Weg verlaufen sein, den wir nun zu finden suchen. Und tatsächlich kommen wir so wieder auf den rechten Weg und finden langsam, aber immer sicherer wieder jene Straßen und Wege, die uns zurück zu unserem Abenteuerspielplatz bringen werden.
Am Ortsausgang von Olsztyn kaufen wir in einem Groszek-Markt einen Butterkuchen mit Streusel für den Nachmittagskaffee und einiges mehr, was man eben noch so braucht, darunter zwei Hähnchenschenkel mit etwa 750 g für 4 zl.
Um 13 Uhr sind wir wieder bei Anouk zurück. 17,3 km haben wir bei Sonne, Wolken und reichlich Wind zurückgelegt, im Schnitt 7 km/h, das ist bei diesem Geläuf und mit all den Orientierungsversuchen gar nicht so schlecht. Fianna macht trotzdem nicht den Eindruck großer Erschöpfung. Im Gegenteil: Sie ist bereit zu weiteren großen Taten. Anders als Anouk, die sich über unsere Rückkehr nur peripher freut, ansonsten aber unleidig und mäkelig ist. Nichts kann man ihr Recht machen. Deswegen versuchen wir es erst gar nicht, sondern machen uns stattdessen einen schönen Kaffee und verputzen den Butterkuchen.
Währenddessen zieht sich das Wetter zu, die Temperaturen pendeln sich, je nach Wolkenlage, zwischen 19° C und 22° C ein. Allem Anschein droht uns heute noch ein kleines, aber feines Gewitter.
Anschließend, etwa um 17 Uhr, machen wir mit den Mädels dennoch einen Inspektionsgang zu den Badeplätzen und durch den Wald, damit Anouk wieder in bessere Laune kommt und ihre alten Knochen in Bewegung bringt; sich regen bringt bekanntlich Segen. Eine Stunde bummeln wir mit den Mädels durch den Zauberwald des Abenteuerspielplatzes und es scheint, was Anouk angeht, eine gute Idee gewesen zu sein, sie zeigt sich wieder von ihrer charmanten Seite. Fianna kennt sowieso keine schlechte Laune, wozu es heute auch wirklich keinen Anlass gegeben hätte.
Auf unserem Rückweg von der Radtour haben wir in der ul.Baltycka die Taverna Pirat entdeckt, einen Blick auf die Speisekarte geworfen und beschlossen, ihr heute Abend einen Besuch abzustatten.
Um 19:15 Uhr ist es soweit, wir nehmen unsere Fahrräder und kurbeln über die Beton- und anschließend über die Waschbrettpiste und die Schottertrasse hinunter und hinüber zur ul. Baltycka. Das sind nur etwa drei Kilometer, aber die Räder klagen schaurige Lieder. Auf dem Rückweg von der Radtour haben wir sie nämlich geschoben, schon um unsere Einkäufe zu schonen, jetzt aber müssen sie unsere Gewichte über diese Wegemonster tragen und spüren wohl, dass man mit fast 20 Jahren als Fahrrad ganz schön betagt ist.
Die Taverna Pirat ist ein stocksolides polnisches Speiserestaurant, kein Chichi, aber auch kein Schnellrestaurant, also genau das, wonach uns heute der Sinn steht. Und unser Sinn, beziehungsweise unsere Sinne, werden bestens bedient. Vorneweg bestellen wir beide Borschtsch mit riesigen Pirogen mit Pilz-Kraut-Füllung, die uns nicht nur sehr zufriedenstellen, sondern eigentlich für sich schon ausgereicht hätten, einen polnischen Seebären satt zu machen. Aber wir hatten ja noch mehr bestellt, die Pirogen sollten ja nur die magenöffnende Vorspeise sein. Nun kam auch noch für die Dame ein prächtiger gebackener Zander mit Salat auf den Tisch und für den Herrn ein paniertes und gebackenes Kotelett mit Bratkartoffeln. Jesusmariaundalleheiligen! Wir beratschlagen, ob wir die Fahrräder auf dem Rückweg nicht gleich von hier aus schieben sollten, wenn sie nicht unter uns zusammenbrechen sollen. Zusammen mit einem Viertel Wein, einem mittelgroßen Wasser und einem Bier lassen wir auf der Piratentheke 67 zł liegen, also nicht einmal 17 €. In Polen kann man bei der Pflege der Adipositas auch noch Geld sparen und reich werden.
Gewitterstimmung über dem Ukiel-See Wir beschließen dann doch, auf die Räder zu steigen, weil sich vor und hinter uns ein strammes Gewitter aufzubauen droht, das uns schon kräftig um die Ohren pfeift. Doch als wir am Schotter-, Waschbrett- und Betonanstieg wieder absteigen und schieben, hat sich die Drohung schon wieder verblasen, wie sich bisher alle Finsterwolkenberge wieder verzogen haben.
Als wir um 21:15 Uhr wieder zurück sind, kann von Gewitter keine Rede mehr sein, dafür fallen schwere Regengüsse vom Himmel. Um 22:15 Uhr gehen wir ins Bett und hören noch lange den Regen gegen den Franz klatschen.
Dienstag, 19. August 2014
Um 7 Uhr ist die Nacht zu Ende. Der nächtliche Regen hat die Luft rein gewaschen und den Himmel völlig leer gefegt, so dass er sich nun in seinem strahlendsten Blau über uns wölbt. Und auch die 13° C sind für diese Tageszeit nicht zu bemäkeln. Wir wissen nicht so recht, ob uns das zu unserem Abschied vom Abenteuerspielplatz erfreuen soll oder nur unnötig melancholisch macht. Inzwischen sind wir hier völlig alleine. Eigentlich müssten wir uns hier eingraben und unser Idyll gegen alle zukünftigen Eindringlinge verteidigen. Aber dann wäre diese Chronik schon ausgeschrieben – und wir hätten noch viele unvergessliche Eindrücke verpasst. Also machen wir uns trotz der Lockrufe der Wildnis auf die Reise.
Der letzte Spaziergang am romantischen Ukiel-See Die Chefin zeigt den Mädels abschließend noch einmal ihr Revier, in dem sich künftig andere umtun und für sich in Anspruch nehmen dürfen, was wir ihnen aber verschweigen, weil sie sonst wahrscheinlich die Mitreise verweigern würden. Der Chef bringt derweil den Franz in einen reisefertigen und zivilisierten Zustand. Der sandige Waldboden ist fast unbemerkt in den Franz hinein gewachsen, was vermuten lässt, dass wir, würden wir unserer Neigung zu bleiben folgen, bald nicht mehr von der Umgebung zu unterscheiden wären.
Um 8:15 Uhr gibt es Frühstück und um 9:40 Uhr rumpeln wir die Stoßdämpfertestpisten hinunter nach Olsztyn und stramm östlich auf der B 16 nach Mrągowo (Sensburg) und von dort südlich zur Krutynia, wo wir um 11:25 Uhr an einer Kanustation (Nr. 075) ankommen.
Die Krutynia ist ein bezauberndes Flüsschen, das sich über mehr als hundert Kilometer flach und unreguliert westlich der masurischen Seen dahin schlängelt. Fast die ganze Länge über ist die Krutynia mit dem Boot befahrbar. Wer dazu Lust hat, sollte ein paar Tage einplanen und die einschlägigen Internet-Seiten zurate ziehen. Wir wollen jedoch noch mehr von Polen sehen und belassen es bei einer kleinen Paddeltour.
Wir lassen die Mädels im Franz, wohlbeschattet unter mächtigen Kiefern zurück, obwohl die Reiseleiterin einmal kurz darüber nachgedacht hatte, zwei Boote zu nehmen, sodass jeder eine Vierbeinerin… Sie sah allerdings schnell von dem Ansinnen ab; es muss auch mal ein paar romantische und entspannte Momente für die Initiatoren dieser Reise geben.
Im Kajak auf der Krutynia Zumindest diese rund zwei Stunden währende Kanufahrt sollte sich jeder Reisende gönnen, der hier in der Nähe vorbei kommt. Zu Beginn der Fahrt, wenn noch ein gewisses Pulkverhalten unvermeidlich ist, scheint eine beschauliche und Sinnen berauschende Paddeltour in weiter Ferne zu liegen, aber schon nach einigen Biegungen und Windungen entzerrt sich das Kanuaufkommen und man beginnt immer mehr den Geräuschen der eigenen Paddel zu folgen. Glasklares Wasser, geheimnisvolle, finstere Seitenarme, denen wir natürlich wie hypnotisiert folgen müssen, umgestürzte Bäume, die wir nur liegend passieren können – wenn jetzt plötzlich vor uns die Biberburg aus dem Flüsschen steigen würde und Chingachgook uns auf einem Baum auflauern würde, hätten wir keine Zweifel, dass die eigentliche Heimat des Lederstrumpfs in Polen, auf der Krutynia liegt. Allerdings und etwas störend an diesem Bild: Die Kanufahrten im Lederstrumpf sind sehr geschmeidig, Resultat perfekt abgestimmter Harmonie. In unserem Fall ist es eher der Kampf des hinten sitzenden Aggregats gegen den vorne sitzenden, überwiegend leer laufenden und wenn einmal
Nur der Gesang der Vögel und das Plätschern der Paddel durchbricht die Stille arbeitenden, dann sehr kreativ agierenden Ballast. Chauffeur ist eben Chauffeur, zu Wasser wie zu Lande. Das Kreativpersonal ist für die Kringel, Kreisel und Volten zuständig. Wenn es jedoch darum geht, lautstarken Schwaben, von denen es hier unverhältnismäßig viele gibt, den Achtersteven zu zeigen, legt sie sich im Takt ins Zeug und links, zisch, rechts, zisch, fliegen wir an den Sieben Schwaben vorbei, deren Verständigung wie das Geschrei von Lachmöwen über der Krutynia liegt. Auch im fernen Polen gilt: Der Bayer schweigt und fliegt vorbei. Das gilt sogar für bayerisch assimilierte Schwäbinnen.
Flusslandschaft mit Wolken Immer wieder laden Lagerplätze mit Grillstationen und Restaurants zum Verweilen ein, aber uns steht der Sinn nicht nach Lagerfeuer, wir wollen den Augenblick genießen, als Schwäne zwischen Schwänen treiben, Treibholz sein auf einer unter aufziehenden Wolken immer flaschengrüner werdenden Krutynia. Selten haben wir uns ferner gefühlt von allem Ballast der Welt, selten haben wir zwei Stunden so genossen und ihnen so hinterher geträumt wie diesen auf der Krutynia.
Unsere Krutynia-Tour Nach gut zwei Stunden und acht Kilometern ziehen wir unser Kajak an den Strand von Port Rosocha und werden wieder zu Landfahrern. Wir rufen die vom Verleiher mitgegebene Telefonnummer an, um den Abholservice zu benachrichtigen und kaufen uns eine Bratwurst in der Baguette-Semmel. Aber der Taxi-Service ist so fix, dass wir unsere Bratwurst förmlich verschlingen müssen, um nicht das ganze Taxi mit Ketschup zu versauen. Die finsteren Wolken, die uns auf der Fahrt ein bisschen gedroht hatten, sind auch wieder fort und wir um 14:15 Uhr wieder zurück bei unseren Mädels. Und die bekommen jetzt auch ein bisschen Auslauf, eine dreiviertel Stunde immer an der zauberhaften Krutynia entlang, Gelegenheit sich die Füße zu kühlen (Anouk), ein Vollbad (Fianna) und Abschied zu nehmen (wir).
Um 15 Uhr verlassen wir diesen wirklich empfehlenswerten Kanu-Stellplatz und fahren weiter nach Mikołajki (Nikolaiken) und rollen dort eine halbe Stunde später auf den Stellplatz „Caligula“ (Nr 073), mitten in der Stadt. 111 Kilometer haben wir heute unter die Reifen genommen; nun wollen wir den Tag bei windigen 24° C und weiß-blauem Himmel ausklingen lassen.
Stellplatz Caligula in Mikolajki „Caligula“ ist nicht gerade ein Schnäppchen, aber für 50 zł stehen wir mitten im Leben des masurischen Segeltourismus‘ auf einem blitzsauberen, kleinen Stellplatz. Wasser, Strom, Dusche, Toilette – alles vorhanden und ohne Beanstandung. Acht Stellplätze sind durch Hecken von einander abgetrennt, einige weitere (ohne Strom) sind offen, was einen Wohnmobilisten aus Lippstadt sogleich ermunterte, sich so zu stellen, dass er zwar nur einen Platz wirklich belegt, aber so an der Grenze steht, dass kein zweiter mehr daneben Platz findet. Auf diese Weise hat man dann zwei Plätze und ein anderer das Nachsehen. Diesen Kollegen möchte man am liebsten die Luft aus den Reifen lassen und Lebertran in den Tank füllen. Der Rest der Belegschaft besteht aus zivilisierten Deutschen, Holländern, Franzosen und Italienern, die das Dezibel-Niveau nach oben jazzen. Aber uns ist jeder plappernde und palavernde Italiener lieber als ein verstockter deutscher Stinkstiefel, obwohl uns die ersten ein bisschen in unserer Nachmittagssiesta stören. Aber so ist das halt bei den Italienern: Wenn alle ihren Platz gefunden haben, hat einer einen guten Grund, sich anders postieren zu müssen – und alle rangieren so lange herum, bis die gesamte italienische Population die Plätze getauscht hat. Comedia del‘ Arte an der masurischen Seenplatte.
Blick auf die Hafenanlage von Mikolajki Um 17:30 Uhr bummeln wir los. Mikołajki liegt in der Wojewodschaft Ermland-Masuren (Landkreis Mrągowo) am Jezioro Śniardwy (Spirdingsee). Mit 21 km Länge, 13 km Breite und einer Fläche von 114 km2 ist er noch um etwa 2 km2 größer als der größte, komplett in Deutschland liegende See, die Müritz. Zum Vergleich: Der Bodensee hat etwa 536 km2. Die masurische Seenplatte besteht aus über 2700 Seen von mehr als 1 ha, viele davon sind durch Kanäle verbunden und so bis zur Ostsee befahrbar. Kein Wunder, dass es in Mikołajki von Seglern wimmelt. Weiße Polohemden, weiße Hosen und blaue Pullover beherrschen das Straßenbild. Auch sonst ist hier alles ein bisschen aufgebrezelter als im Rest Polens, zumindest jenes Polens, das wir bisher gesehen haben. Schicke Boutiquen, Bars, Segelausrüster und natürlich all die Schnickschnack-Buden, die im Gefolge des Großtourismus unvermeidlich aus dem Boden sprießen. Für ein paar Stunden genießen wir das Treiben, wenn es auch in einem geradezu perversen Kontrast zum Abenteuerspielplatz am Ukiel-See und unserer Fahrt auf der Krutynia steht. Aber es sind die Kontraste, die dem Leben die Würze geben,
Die Marina von Mikolajki Als Segler können wir uns gar nicht satt sehen an den Schiffen, die in den Hafen einlaufen, vor allem aber an den Crews, wie sie sich anstellen, den Mast umzulegen, um unter der Brücke durchzuschlüpfen. Da gibt es die wuselnden Hektiker, die mit wenig Routine, aber umso mehr Gedöns und Lautstärke ein Feuerwerk von Kommandos abfeuern, bis der Mast endlich liegt, und die gleich darauf den Mast mit dem gleichen Ballyhoo wieder aufrichten; alle Mann und Frau bereit zur Notoperation. Daneben, eine Augenweide, die lässigen Könner, die, minimalistisch, ohne Aufhebens und ohne Aktivismus den Mast verschwinden lassen wie eine Tabakspfeife im Blazer. Wenn man wieder eine Hand frei hat, wird sie wieder herausgenommen und sie schmaucht weiter, als wäre sie nie vom Atemstrom abgekoppelt gewesen. Da wird keine Bewegung zu viel gemacht, da sitzt jeder Handgriff - da möchte man am Pier in Jubel ausbrechen. Wir fühlen uns grandios unterhalten am Pier von Mikołajki.
Direkt an der Pier lassen wir uns in der Taverna Portowa nieder, um unseren Hunger zu bedienen. Eine Fischplatte für Zwei, ein Bier, eineinhalb Liter Wein und eine Flasche Wasser erleichtern uns (inklusive Trinkgeld) um 100 zł. Nun ja, ein bisschen teurer ist es halt schon hier, aber die Seglerfestspiele sind ja im Preis inbegriffen, das darf man nicht vernachlässigen. Ja, und eine weitere Comedia del‘ Arte gibt es auch noch oben drauf: Eine, zierliche, splinterdürre, stark in die Jahre gekommene Italienische Dame aus besserem Hause, ganz in Weiß gewandet mit einem überdimensionalen weißen Hut im Raffaello-Habitus, erscheint auf der Restaurant-Terrasse, ihre ganze Familie und tutti amici im Schlepp. Mit großem Aplomb und der Lautstärke eines Almabtriebs entscheidet sich die Grandezza für einen Tisch, um ihn spornst, als alle Stühle und Bänke herbeigeschafft und hingerückt waren, wieder zu verlassen. Falscher Ort, schlechte Sicht, schlechte Aura. Raffaella zieht weiter zum nächsten Tisch, ihr elegantes Gesinde im Kielwasser. Wieder wird Quartier gemacht, Raffaella so lange umgesetzt, bis die Aura der Örtlichkeit angemessen scheint. Alles vergebens. Raffaella zieht weiter. Wir rücken in die Mitte unserer vielsitzigen Bank, um keine unabsichtliche Einladung auszusprechen und am Ende von Raffaellas Horde von der Bank gefegt zu werden. Raffaella zieht glücklicherweise vorbei und weiter. Kein Tisch, den die italienische Plage nicht getestet und für unwert befunden hätte. Raffaella ist schließlich mit ihrem Gefolge im nächsten Restaurant untergetaucht. Vielleicht suchen sie noch heute.
Beglückt und amüsiert teilen wir uns auf dem Heimweg eine riesige Gofri mit Erdbeeren und Sahne, das sind die grandiosen Waffeln, die man aus Frankreich und Belgien kennt und dort – sieh an - goffre heißen. Die Welt ist eben klein, aber die Waffel mächtig. Für diese Pracht zahlen wir 17 zł.
Um 20:15 Uhr sind wir wieder bei unseren Mäusen. Wir unternehmen mit ihnen noch einen netten kleinen Pinkelspaziergang durch die weiß-blaue masurische Dämmerung. Der Wind hat sich auch gelegt, da schadet es ja nichts, wenn wir es ihm bald gleich tun.
Mittwoch, 20. August 2014
7:15 Uhr: Der Himmel über Mikołajki ist bedeckt; wir wollen uns davon nicht anstecken lassen und ebenfalls bedeckt halten, sondern werfen die Bettdecken von uns und treten vor den Franz. Guten Morgen, Ostpreußen. Der ostpreußische Morgen revanchiert sich muffelig und mit nicht gerade üppigen 15° C. Wir gehen duschen, bevor die Italiener einfallen oder gar der doppelsitzige Lippstädter die Duschkabinen für den Rest des Tages für sich reklamiert.
Ungläubiges Staunen bei den Mädels: die Chefin macht Leibesübungen Um 8 Uhr drehen wir mit unseren Mädels eine Runde durch die nicht gerade durch kreative Gestaltung auffälligen Stadtanlagen: ein bisschen langweilig, die Grünarchitektur. Aber die Chefin kommt auf ihre Kosten, weil hier überall Fitnessgeräte aufgestellt sind, die sie natürlich testen muss und schließlich für gut befindet. So etwas könnte auch bei uns Gefallen finden, meint sie. Dem Chef ist es einerlei, ob jemand in öffentlichen Anlagen Körperertüchtigung treibt; ihm steht der Sinn eher nicht danach. Dabei erinnert er sich an seine Aufenthalte in Bangkok und Hanoi und an die in Reih und Glied aufgestellten Schlabberhosen, die mit provozierender Langsamkeit ihre Tai Chi-Übungen absolvierten. Immerhin eine amüsante Schnurre, sich vorzustellen, wie die Mangfalltaler Bauern in ihren blauen Latzhosen im Polder stehen und die Luft verschieben. Ja, warum eigentlich nicht? Schlitzaugen kriegt man davon ja nicht. Reisen, so resümiert er, weitet den Horizont. Eigentlich dürfte man gar nicht aufhören zu reisen. Und heute, so stellt er zufrieden fest, geht es ja auch wieder weiter.
Mikolajker Marktwirtschaft Erst einmal werden noch ein paar Einkäufe auf dem Markt fällig: 1 Wäscheleine (10 m) = 2 zł, 6 Eier = 3.36 zł, 3 Semmeln + 2 süße Stückchen = 4,45 zł und 2 ordentliche Brocken Wurst = 11 zł zusammen 20,81 zł, also gerade mal 5 €.
Um 8:45 Uhr werden die Backwaren, Teile der Eier und der Wurst ihrer Bestimmung zugeführt: Frühstück. Danach stellen wir fest, dass unsere Vorratshaltung Mängel aufweist, die auch noch beseitigt werden müssen. Also noch einmal los. Erste Station ein kleiner Supermarkt: Salat, Gurke, 2 Flaschen Cola (man weiß ja nie, ob nicht plötzlich eine Unpässlichkeit über uns herfällt) und eine Flasche Cytronowka, echten polnischer Zitronen-Wodka (man weiß ja nie, ob nicht plötzlich eine Unpässlichkeit über uns herfällt). 19,33 zł kostet die ganze Partie. Und gleich daneben verströmt eine Bäckerei und Konditorei einen solch unverschämten Backstubenduft, dass es uns hineinzieht, wie die Jungfrau ins Moor. Drei Kuchen lassen wir uns zusammenpacken, so Dinger mit viel Sahne, Käse, Kirschen, Schoko und Rosinen – 15,42 zł. Die drei Kalorienmutterschiffe wiegen zusammen 650 g, und hier in Polen wird Kuchen nicht in Stücken, sondern nach Gewicht verkauft. Keine 4 € für so viel Nachmittagsglück!
Um kurz vor 11 Uhr verlassen wir Camping Caligula, das wir nur empfehlen können und Mikołajki, das nicht nur das masurische Wassersportzentrum ist, sondern im 2. Weltkrieg die deutsche Abwehr unter General Canaris beherbergte. Womit wir beim Hauptthema des Tages wären: Die Relikte deutschen Größen- und Vernichtungswahns. Man kommt nicht umhin. Man muss es gesehen haben. Nicht weil man nicht wüsste, welche Schneisen die entfesselte Barbarei in ein Land und Volk (und die Welt) gesenst hat, nicht weil die morbide Dekadenz des Zerfalls und des bodenlosen Absturzes die Sehnsucht nach hämischer Schadenfreude bedient, nein, nur weil man aus diesen Zeugen die Gewissheit schöpfen kann, dass das Ende ein verdientes und umso schrecklicheres ist. Dahinter verbirgt sich nicht der Glaube an eine höhere Gerechtigkeit, sondern das Schicksals des Schneiders von Ulm: Wer in größtmöglicher Selbstüberschätzung bei gleichzeitig maximaler kleingeistiger Ausblendung der Naturgesetze mit dem Adler fliegen möchte, nimmt ein krachendes Ende.
Parkplatz Schwarzschanze Vorsichtig nähern wir uns den braunen Pleitegeiern und machen nach knapp einer Stunde Halt beim Reichsführer SS Heinrich Himmler, besser bei dem, was von seinem ostpreußischen Refugium übriggeblieben ist: seinem gesprengten Bunker, nahe dem Örtchen Pozezdrze. 1941, kurz vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion hatte man der SS dort ein Hauptquartier gebaut, die so genannte ‚Feldkommandostelle Hochwald‘, die wegen der schwarzen SS-Uniformen auch spöttisch ‚Schwarzschanze‘ genannt wurde, in Anlehnung an Hitlers Hauptquartier ‚Wolfsschanze‘. Wir werden von einem Hinweisschild begrüßt, das uns versichert, dass wir hier richtig seien, wenn wir das ‚Kwatery Himmlera‘ besuchen wollten. Wir platzieren uns direkt unter das Schild und besetzten damit einen von zwei Plätzen dieses winzigen Womo-Stellplatzes (Nr 129). Der Weg zum Bunker ist vorbildlich ausgeschildert, alles hier ist blitzsauber, überall stehen Mülleimer, damit niemand auf die Idee kommt, diesen Pilgerpfad zu einem der saubersten Saubermänner der jüngsten deutschen Geschichte zu beschmutzen. Wir fragen uns, ob es den geschundenen Polen vielleicht leichter fällt, der Welt diese Festung des Grauens zugänglich zu machen, wenn sie die Wege dorthin mit feiner Ironie beträufeln. Man fühlt sich hier als Deutscher nicht wohl in seiner Haut, obwohl außer uns kaum jemand zu sehen ist. Eine knappe Viertelstunde brauchen wir mit unserer alten Dame vom Parkplatz zum Bunker. Dann steht er vor uns, Himmlers Bunker, das einzige von mehreren Gebäuden, das nach der Sprengung beim Rückzug vor der Roten Armee noch einigermaßen gut erhalten ist. Der Brocken misst etwa 21 x 19
Die Ruine der SS Kommandostelle Hochwald
Diese Höhle war auch vor 70 Jahren kein Luxusappartement Meter und hat über zwei Meter dicke Betonmauern. Mehrfach bis in den Himmel gespalten, ragt der Bunker vor uns auf, über und über bewachsen und bewuchert, als ob die Natur versuchte, über diesen Schandfleck Gras wachsen zu lassen. Man kann die Ruine auch betreten (Stirnlampe, Taschenlampe oder Smartphone nicht vergessen!), aber zu sehen ist dort nichts, außer dem Zahn der Zeit und einer eiskalten inneren Ödnis, die dem Gesamtcharakter dieser Anlage noch nach 70 Jahren Rechnung trägt. Wir werfen einen Blick ins Innere, umkreisen den Klotz einmal und befinden, dass uns bei dieser Ruine nicht einmal ein Schauer der Scham und Schande erfasst; sie ist so elend und mickrig wie sein Hausherr war.
Knapp eine Stunde nach unserer Ankunft sind wir schon wieder auf dem Weg. Wenn wir jetzt den direkten Weg nach Westen, zwischen den Seen hindurch nehmen würden, wären wir bereits nach etwa 30 Kilometern bei der schillerndsten Hinterlassenschaft der braunen Weltenherrscher, dem Führerhauptquartier (Wolfsschanze), das am 20. Juli 1944 beinahe zum Führerendlager geworden wäre. Das Scheitern des Attentats auf Hitler verlängerte dessen Leben nicht nur um bescheidene neun Monate, sondern kostete vorher zudem noch Millionen Menschen das Leben. Allerdings: Noch verheerender als diese letzten neun Monate waren die allerersten neun Monate seines Lebens; deren Unterbleiben wäre ein größerer Segen für die Menschheit gewesen als ein geglücktes Attentat.
Wie dem auch sei: Wir können die Geschichte nicht umdeuten und die Wolfsschanze läuft uns auch nicht davon; deswegen nehmen wir statt der direkten Verbindung durch eine vermutlich hinreißende Landschaft einen kleinen Umweg, weil wir Franzens Energiespeicher füllen müssen und uns nicht sicher sind, ob wir auf den Ratterpisten zwischen den Seen und Sümpfen eine Tankstelle finden. Also kurven wir zurück nach Giźycko (Lötzen), packen 66 Liter Diesel in den Tank und richten unsere Nase erst danach in Richtung Nordwest, hin zur Wolfsschanze.
Die Überreste von Hitlers Bunker Um 14 Uhr treffen wir dort ein. Anders als an der SS-Kommandantur gibt es hier so viele Parkplätze, dass uns um eine Unterkunft nicht bange ist, obwohl hier, auch das ganz anders als bei Himmler, reger Besucherverkehr herrscht. Ganz hinten unter mächtigen Bäumen lassen wir uns nieder, damit unsere Anouk, die wir nicht mitnehmen wollen, ein kühles Nachmittagsnickerchen machen kann. Und noch etwas ist hier anders: Wir müssen für den Eintritt in unser eigenes Gruselkabinett bezahlen. 50zł werden wir an der Kasse los, 2 x 15 für uns und 20 für den Franz. Dann machen wir uns mit Fianna auf den Weg, die Kommandozentrale des Russlandfeldzuges zu erkunden, in der die Schicksale unzähliger Menschen und vieler Nationen entschieden wurde. Bis auf den heutigen Tag hat die Welt mit den Entscheidungen in dieser ‚Colonia Indignidad‘ zu kämpfen. Oder müssten wir uns täglich mit den Grausamkeiten im Nahen Osten auseinandersetzen, wenn man nicht als Folge des Holocausts den Juden in Palästina einen eigenen Staat ermöglicht hätte? Was mit „Wir jagen die Juden ins Meer“ begann, entwickelte sich bis heute in einer seit Menschengedenken unruhigen Region zum Flächenbrand.
Die Wolfsschanze wurde ab Herbst 1940 geplant und von der Organisation Todt errichtet. Zwischen dem 24. Juni 1941 und dem 20. November 1944, verbrachten Hitler und seine Entourage etwa 800 Tage dort. Die Lage, etwa acht Kilometer östlich von Kętrzyn (Rastenburg), war mit Bedacht gewählt. Nicht nur abgelegen von den Hauptverkehrswegen und tief im Wald verborgen war das Führerhauptquartier, auch die östlich liegenden großen masurischen Seen und Sümpfe boten einen gewissen Schutz vor Angriffen aus dem Osten. Denn der geplante Russlandfeldzug, das so genannte „Unternehmen Barbarossa“, war der eigentliche Grund für die Errichtung dieser Kommandozentrale im hohen Osten, wo man die günstige Nähe zur russischen Grenze vorfand und in ein Umfeld weiterer strategischer Hinweistafel auf Attentat 20. Juli 44 Kommandanturen eingebettet war. Die Abwehr von Admiral Canaris in Mikołajki und Himmlers ‚Feldkommandostelle Hochwald‘ der SS haben wir schon kennengelernt. Dazu kamen noch das ‚Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres‘ (OKH) in Mamerki (Mauerwald) etwa 15 km entfernt, Görings Quartier in Szeroki Bór (Breitenheide) etwa 55 km, in Goldap (60 km) war das Quartier und die Versuchsanstalt der Luftwaffe. In Giźycko, wo wir eben noch getankt hatten, saß die Abwehrabteilung ‚Fremde Heere Ost‘ unter Reinhard Gehlen. Und dass Außenminister Ribbentrop im 13 km entfernt liegenden Familienschloss der Grafen von Lehndorff in Sztynort (Steinort) in einem Flügel des Schlosses residierte, passte natürlich auch gut (Der Hausherr, Heinrich Ahasverus Graf von Lehndorff-Steinort, war dem Gast und seinen Spießgesellen offenbar wenig zugetan und beteiligte sich an der Verschwörung gegen Hitler am 20. Juli 1944, wofür er im September in Plötzensee gehängt wurde).
Die Überreste von Görings Bunker Auf ca. 2,5 km2 wurden insgesamt etwa 100 Gebäude errichtet, davon rund 40 Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude, sowie sieben massive und 40 leichte Schutzbunker. Anfangs wurden nur leichte Bunker mit Wandstärken bis zu 1,5 Metern errichtet, schließlich ging man von einem Blitzkrieg aus, der keine massiveren Schutzmaßnahmen erfordern würde. Ab 1942, als sich diese Vorstellung als böser Traum erwies, wurden die Gebäude kontinuierlich verstärkt, die wichtigsten bis zu einer Wanddicke von acht Metern und einer Dachhöhe von zehn Metern. Die offiziellen Angaben, dass 2000 bis 3000 Menschen am Bau der Anlage beteiligt waren, sind stark untertrieben. Insgesamt waren während der gesamten Bauzeit rund 50.000 Menschen beteiligt, weil Bauarbeiter, Architekten und Ingenieure wegen der Geheimhaltung alle drei Monate ausgetauscht wurden. Niemand sollte einen Überblick über den Gesamtkomplex haben. 1944 lebten in diesem tristen Feldlager über 2000 Menschen. Wie sich das Leben hier anfühlen musste, können wir auf unserem Rundgang erahnen. Eine Stunde wandern wir durch nicht viel mehr als meterdicken Betonschutt. Egal, wer in welchem beklagenswerten Refugium sein Unwesen trieb: Es ist nur noch Schutt und damit symbolisch besonders wertvoll. Am 20. November 1944 flohen Hitler und sein Tross vor den heranrückenden Sowjettruppen, und zwei Tage später wurde der Befehl zur Sprengung gegeben. Am 24. und 25. Januar 1945 kam es dann zum Vollzug. Rund acht Tonnen Dynamit waren durchschnittlich nötig, um einen einzigen dieser gewaltigen
Das Vermächtnis des 1000-jährigen Reiches ...
... 1000-jähriger Betonschutt Betonklötze zur Strecke zu bringen, bei manchen reichten sogar 20 t nicht, ihnen wirklich den Garaus zu machen. Bis zu 30 Meter flogen die Brocken durch die Luft, und Zeitzeugen schilderten, dass wegen der gewaltigen Explosionen das Eis auf den umliegenden Seen barst. So sank es dahin, das Drittelreich, dessen arische Helden sich in Löchern verbergen mussten, die sich von den Zellen in Plötzensee nicht wesentlich unterschieden haben dürften. In nicht wirklich besseren, aber zumindest authentischeren Zeiten standen und starben die Feldherren auf ihrem Hügel im Kugelhagel; diese Kreaturen getrauten sich nicht einmal, auf ihren Maulwurfshügel zu steigen, sondern führten, verborgen im tiefen Forst und unter Tarnnetzen, das Leben von Nackmullen. Nichts kann diese armseligen Wichte mit den großkotzigen Gesten besser beschreiben.
Wir wissen nicht, was die zahlreichen Besucher hier empfinden; die Alten unter ihnen werden ähnliches fühlen, so scheint es zumindest, und wie viele der Ewiggestrigen sich hier herumtreiben, um ihrem Schnäuzer zu huldigen, lässt sich nicht sagen. Aufgefallen sind sie jedenfalls nicht, zumal hier überwiegend Familien auf Bildungstripp sind, weniger die Kegelvereine. Für die Jüngeren ist diese Geisterbahn vielleicht etwas so Fernes und Mystisches wie das englische Stonehenge. Alle Sprachen sind hier zu hören, und wenn man als Pole hier lebt, sollte man sich nicht unbedingt die Mühe machen, einen Beruf zu lernen – eine Fremdsprache reicht aus, um sich im Lager des ‚Gröfaz‘ seinen Lebensunterhalt als Führer zu verdienen. Wenn das der Führer geahnt hätte, dass es nach dem größten aller großen deutschen Führer heutzutage in seinen Ruinen nur so von Führern wimmelt, und auch noch von polnischen… er würde sich im Grab umdrehen, wenn sich Asche drehen könnte.
Das Führerhauptquartier - eine Schießbude Wir schwanken zwischen Abscheu und der Faszination, die alles Monströse ausstrahlt. Dass nicht jeder so zwiegespalten ist, vor allem die Jüngeren die Anlage eher als Museum einer Zeit begreifen, die längst versunken ist, wird uns klar, als wir in einer einigermaßen gut erhaltenen Halle einen Nazi-Devotionalien-Shop vorfinden, das den üblichen Militärkram von der Stauffenbergschen Augenklappe bis zur Handgranate feilbietet. Und weil ein bisschen Fun ja nie schaden kann (und ein paar Extra-Złoty nicht zu verachten sind), kann man hier in einer improvisierten Schießbude für Geld noch ein bisschen herumballern und sich dabei Trödel erschießen. Daran scheint seltsamerweise das weibliche Geschlecht besonderen Gefallen zu finden und ein gewisses historisches Kribbeln zu verspüren. Vielleicht ist das die Rache des Weltfrauentums dafür, dass im Führerhauptquartier Frauen eine Rarität waren; im Jahr 1944 gerade mal zwanzig. Eva Braun war übrigens nie hier.
Nach einer Stunde haben wir genug. Um Viertel nach drei fahren wir weiter. Ursprünglich wollten wir noch das Oberkommando des Heeres besuchen, bei dem es 34 unzerstörte Bunker zu sehen geben soll, aber wir haben genug gesehen und fahren direkt zu unserem nächsten Lagerplatz, dem Campingplatz Rusalka (Nr. 130), am Jezioro Święcajty (Schwenzaitsee), nahe dem Städtchen Węgorzewo (Angerburg). Um 16:15 Uhr kommen wir dort an, hinter uns liegen 140 bewegte und bewegende Kilometer.
Von Mikołajki nach Węgorzewo, Camping Rusalka
Wie bewegt sie waren, resümiert Anouk Sekunden nachdem wir dem Franz die Triebwerke abgestellt hatten, indem sie flüssigen gelben Schleim direkt hinter den Fahrersitz kotzt. Da kommt Freude auf. Man hat ja keine Vorstellung, wie viele Ritzen und Spalten sich in einem Womo befinden, in die eine solche Brühe fließen kann. Die Chefin gibt vor, dringend mit dem Nachwuchs die Tauglichkeit des Platzes erkunden zu müssen, der Chef liegt derweil unterm Tisch und verbraucht den halben Vorrat an Küchentüchern. Anouk liegt draußen und erholt sich. Vermutlich erholt sie sich nicht so sehr von ihrer Mageneruption als von der Fahrt – wie gesagt: bewegt!
Masurische Kulisse ...
... mit Katzenkopfpflaster Bewegend waren die Eindrücke aus der Vergangenheit, die Gegenwart der hiesigen Straßen hat uns und unseren Franz aufs Schmerzhafteste bewegt. Die Landschaft, die wir heute durchmaßen, war ein masurischer Traum; so stellt man sich Ostpreußen vor, wenn man es nur aus der Literatur und den Erzählungen kennt. Worüber natürlich nie gesprochen wird, sind die Straßenverhältnisse, zumal diese in jenen Zeiten, von der die Literatur berichtet, nicht erwähnenswert, weil unausgesprochen schlecht waren. Jetzt aber sind sie erwähnenswert, vor allem, weil wir bisher eine Vielzahl bestens präparierter Straßen kennengelernt haben, diese heute, im Auge des Bösen sozusagen, sind historisch wertvoll, vermutlich noch aus der Römerzeit (obwohl die es bis hierher nicht geschafft hatten), für ein zehn Jahre altes Womo aber eine brisante Herausforderung. Kilometer um Kilometer Katzenkopfpflaster und Schlaglöcher, dass der Franz nur noch ächzt und pfeift und stöhnt. 20 km/h sind das höchste der Gefühle, und schon dabei fleht der Franz um Gnade und Erlösung. Aber das Land! Die Seen! Die Luft wie Kristall! Man weiß nicht, ob man fluchen oder dahin schmelzen soll. Irgendwie kommt es einem vor wie das Ohrendrücken in der Bergbahn: Man würde gerne darauf verzichten, aber es gehört dazu. Anouk ist gegenteiliger Meinung; sie sieht aus ihrer Reiseposition hinter dem Fahrersitz nichts von der hinreißenden Natur, spürt dafür umso mehr die Katzenköpfe. Die Quittung bekommen wir jetzt.
Camping Rusalka - fast allein zuhaus Nachdem die Bescherung beseitigt ist, nimmt auch der Chauffeur einen tiefen Schluck masurischer Luft: 20° C, weiß-blau mit Tendenz zu dunkelgrau, pfiffig, wodurch sich die 20° C eher wie 15° C anfühlen. Der See schwappt an den Strand, wie er es schon tat, bevor die deutsche Mörderbande ihre Zelte an seinen Ufern aufschlug. Weit und breit kaum andere Reisende, die anwesenden sind an einer Hand abzuzählen und weit verstreut; wir sind praktisch allein – bis sich ein Bonner Womo direkt vor uns setzt, was dem Chauffeur Wutschweiß auf die Stirn treibt: Hat denn das Rindvieh nicht genug Platz, dass er sich auf Armlänge vor uns quetschen muss? Rheinländisches Sozialkuscheln vs. bayerischen Sozialseparatismus. Der bayerische Separatist gewinnt, offenbar seines Gesichtsausdrucks und seiner Körperhaltung wegen; der Bonner verzieht sich in eine leere Ecke der Anlage. Jetzt ist alles wieder gut.
Süße Grüße aus Mikołajki Wir verduseln den Nachmittag mit lesen, dösen, Chronik schreiben und Hundespaziergang – und dem Verzehr von 650 g Konditoreiwaren aus Mikołajki. Als der Chef unter dem süßen Klang der Wellen vor sich hin döst, klopft es an Franzens Tür und die Reiseleiterin tritt hinaus. Er hört angeregtes Plaudern, Verhandeln gar, Lachen, ihre Stimme und eine gurgelnde polnische Männerstimme. Als die Tür wieder aufgeht und die Chefin hereintritt, trägt sie eine Plastiktüte wie eine Trophäe, Inhalt: 1 Räucheraal.
„Es musste sein. Der Aal ist ganz frisch und der Kerl war einfach nett.“
„Wieviel?“
„140!“
„140 zł oder vielleicht doch Euro?“
„Złoty!“
140 zł für einen Aal! Und dafür hat man das Kind Betriebswirtschaft studieren lassen! Für die zwei Menüs in Toruń, in einem der hundert besten Restaurants Polens, haben wir 155 zł berappt und für diesen schwindsüchtigen Wasserwurm gibt das Finanzgenie 140 zł aus… Es muss an ihrem grenzenlos gütigen Herzen liegen. Umdrehen und weiterschlafen.
Um 20 Uhr kommt das Abendmahl auf den Tisch: Schinkennudeln, schließlich haben wir heute Morgen einen Riesenbrocken Schinken erstanden. Und als Vorspeise - na? Richtig: Räucheraal. Der Wurm ist so dürr, dass man bei der Fleischgewinnung von seinem Gerippe mehr Kalorien verbraucht als man durch seinen Verzehr gewinnen kann. Der Chauffeur hatte schon die Befürchtung, dass der fliegende Händler von jetzt an, wegen der großen Güte der Kundin, jede Stunde vor der Tür stehen würde und einen noch frischeren Aal im Angebot hat, aber jetzt ist er sich sicher, dass er nicht mehr auftauchen wird; der weiß nämlich, was für einen dürren Hund er da los geworden ist. Ein zweites Mal klappt das bestimmt nicht wieder. So hat auch dieser Fehlgriff etwas Gutes. Wie Güte ja generell etwas Gutes an sich hat, wiewohl sie einem nicht selten teuer zu stehen kommt.
Unser kleines Paradies ...
... am Jezioro Święcajty
Später sitzen wir noch draußen unter einem völlig klaren Sternenhimmel, wie wir ihn lange nicht mehr hatten, bei einer mit den Händen greifbaren Stille, der nicht einmal das Plätschern der Wellen etwas anhaben kann. Diese Stille, dieser Frieden liegt erhaben über einem Land, das viel Besseres verdient hatte, als ihm vom Schicksal zugeteilt wurde. Aber vielleicht ist dies das Schicksal aller Paradiese, man denke nur an den Garten Eden, der einst zwischen Euphrat und Tigris lag.
Um 22:30 Uhr wird das Paradies doch ein wenig zu frostig und wir schließen die Tür bis morgen hinter uns. Draußen das Paradies, drinnen ein Platz zum Träumen. Nur Anouk schnarcht.
Donnerstag, 21. August 2014
7 Uhr: Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Obwohl es hier mit den Gipfeln so eine Sache ist, der Rest von Goethes Gedicht könnte heute Morgen hier geschrieben sein. Klarer Himmel, kein Hauch in der masurischen Morgenluft und 14° C. Da müssen wir raus, unsere Mädels ausführen, getrennt wegen der unterschiedlichen Bedürfnisse, vor allem damit Fianna keinen Mobilitätsstau erleidet. So bummelt der Chauffeur mit der betulichen Señora am See entlang und durchs Campinggelände, während sich die Chefin mit Fianna irgendwo und nirgends herumtreibt.
Unser Frühsport macht sich schnell bezahlt, denn schon um 8 Uhr bezieht sich der Himmel und der Wind macht sich wieder bemerkbar. Um 8:30 Uhr wird gefrühstückt.
Sanitärbaracke von Rusalka Um
Die Duschen von Rusalka 10 Uhr schaukeln wir den Wald hinaus und lassen nicht nur diesen Platz, sondern auch eine der düstersten Erinnerungsgegenden deutscher Geschichte hinter uns. Heute wollen wir unserer Seele Nahrung geben, mit Kultur wollen wir sie füttern, mit geistiger wie mit technischer. Alles soll sie bekommen, die gestern so gepeinigte.
Unser erstes Tagesziel ist Święta Lipka (Heiligelinde), gut 50 Kilometer stracks westlich. Dort erwartet uns eine barocke Basilika, die zu den wichtigsten Marienwallfahrtsorten Polens gehört. Erstmals erwähnt als Wunderstätte um 1470, wurde sie als dreischiffige Basilika von den Jesuiten ab 1687 zu dem gemacht, was sie heute ist: ein prächtiger Sakralbau mit einer prunkvollen Orgel. Diese Orgel ist es, derentwegen es uns nach Święta Lipka zieht, nicht unbedingt die Marienwallfahrt. Weil man nicht alles selber erfinden muss, zitieren wir ausnahmsweise an dieser Stelle unseren Reiseführer: „Eine Augenweide und das wertvollste Stück der gesamten Kircheneinrichtung ist die Orgel […]. Ein einzigartiges Schauspiel ist es, wenn ihre 4965 Pfeifen erklingen und sich, sobald das Gebläse in Gang gesetzt ist, die Engelstatuetten auf dem Orgelprospekt in Bewegung setzen.“ Dieses Schau- und Hörspiel findet in den Sommermonaten und an Werktagen stündlich von 9:30 Uhr bis 11:30 Uhr und von 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr statt. Und das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Abfahrt ist 10 Uhr, vor uns liegen 50 Kilometer, also werden wir uns um 11:30 Uhr von der Heiligelinder Orgel berauschen lassen.
Wer sich jetzt insgeheim fragt, wie wir uns wohl in diesem bescheidenen Kaff der Wojewodschaft Ermland-Masuren die Zeit bis zur Orgelpräsentation vertreiben würden – anderthalb Stunden für 50 Kilometer braucht man vielleicht auf der A 8 am Irschenberg, wenn wieder einmal bei Schnee einige sommerbereifte Lkw quer stehen -, der hat die Rechnung ohne das polnische Verkehrsministerium und die lokalen Tiefbaubehörden gemacht. Schon nach ein paar hundert Metern stehen wir in der ersten Baustelle. Kein Problem, Baustellen gibt es überall. Diese hört aber nicht auf. Einspurig. Blockabfertigung. Schotterstraßen. Jetzt aber sind wir durch! Nach einem Kilometer: Fahrbahnabfräsungen, Blockabfertigung, Schotterstraßen. Aber jetzt! Ja, jetzt könnte man fahren, aber jetzt pendelt vor uns ein Traktor mit zwei überladenen Anhängern. Der ist nicht aus dem nächsten Ort, auch nicht aus dem übernächsten. Der bleibt vor uns. An dem kommt bis zur nächsten Baustelle keiner vorbei. Dann ist er weg und vor uns schlendern völlig entspannt mächtige Baustellenfahrzeuge, überbreit, ausladend, herrschaftlich. Auf den Tacho schauen wir schon lange nicht mehr, dafür umso häufiger auf die Uhr, und die tickt schneller als wir fahren. Wir rumpeln und humpeln in verschärftem Schritttempo gen Westen. Wenn wir so weiter machen, legt sich die Sonne ins Bett, bevor wir auch nur einen Orgelton gehört haben. Doch ganz so schlimm wird es schließlich nicht: Nach nur 1:45 Stunden sind wir um 11:45 Uhr in Święta Lipka, 15 Minuten nach dem Beginn der letzten vormittäglichen Orgelei.
Die Basilika von Święta Lipka Um
Die Orgel von Święta Lipka 12:30 Uhr verlassen wir die Heilige Linde wieder. Bedeckt ist es bei 20°C. Westwärts geht es weiter zum jetzt technischen Kulturteil des Tages, dem Kanał Elbląski (Oberländischer Kanal) bei Jelonki.
Der Kanal ist eine technische Meisterleistung, die man sich nicht entgehen lassen darf, wenn man sich in der Gegend herum treibt. Er führt vom Frischen Haff im Norden bis nach Iława (Eylau) im Süden 130 Kilometer durch Ermland-Masuren. Entscheidend für seine Bedeutung ist die 88 Kilometer lange Verbindung der Städte Elbląg (Elbing) und Ostróda (Osterode). Und weil es in der Gegend Seen gibt, wohin man sieht, macht er sich auch noch dadurch nützlich, dass er einige der schönsten mit einander verbindet. Auf dieser gesamten Strecke muss der Kanal 99 Höhenmeter überwinden. Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Kanal geplant wurde, galt es, dafür eine machbare Lösung zu finden. Anfangs fand man diese in den bekannten wasserbaulichen Maßnahmen: Schleusen eben. Allerdings musste man schnell einsehen, dass die zwanzig geplanten Schleusen zu ineffektiv wären und vor allem zu teuer würden. Der Morriskanal in New Jersey lieferte dann die entscheidende Idee: schräge Ebenen, auf denen die Schiffe huckepack auf Loren über die Berge gezogen werden. So entstanden in der Folge (neben einigen Kammerschleusen)zwischen den Orten Całuny (Kussfeld) und Buczyniec (Buchwalde) fünf Rollberge. Besonders charmant war dabei die technische Lösung, die man heute wohl als ökologisch nachhaltig und besonders klimafreundlich klassifizieren würde: Es wurden nämlich keine Kraftwerke gebaut, um Strom für den Betrieb zu generieren, sondern die Loren ziehen sich mit Wasserkraft selbst über den Berg, fast wie sich einst Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will. Wenn ein Schiff über den Berg gehievt werden soll, fließt auf ein entsprechendes Signal hin Kanalwasser über eine Rohrleitung in einen Tank und setzt ein Rad in Bewegung, das eine Lore mit dem Schiff huckepack in Bewegung setzt. Während das Gefährt den Berg hinunter rollt, zieht es mit seiner Kraft einen anderen Wagen den Berg hinauf. Und an Deck sitzen die Touristen sozusagen auf dem Trockendock und prosten sich zu. Wenn das dem alten Fitzcarraldo schon bekannt gewesen wäre - und das wäre schon gegangen, denn er wurde erst 1862 geboren und da waren der Morriskanal und auch der Oberländische schon in Betrieb -, hätte er seinen Amazonasdampfer nicht unter den Qualen von rund tausend Indios über den Berg stemmen müssen und dabei Leben opfern. Allerdings hätte es dann auch diesen überwältigenden Film von Werner Herzog nicht gegeben.
Dieses technische Meisterwerk wollen wir uns jetzt also vornehmen, allerdings werden wir darauf verzichten müssen, es in Action zu erleben, weil der Kanal saniert wird und der Betrieb voraussichtlich bis Ende 2014 eingestellt ist. Da wir mit einiger Phantasie ausgestatten sind, glauben wir uns auch ohne Live-Huckepack-Dampfer vorstellen zu können, wie das aussieht, wenn die Touris über den Berg karriolt werden.
Was wir auf dem Weg nach Jelonki erleben dürfen, ist die Fortsetzung polnischer Verkehrsanarchie. Wenn wir gedacht haben sollten, dass wir auf dem Weg nach Święta Lipka schon das Schlimmste hinter uns gebracht hätten, waren wir nicht nur massiv auf dem Holzweg, sondern auf einem kompletten Abweg. Jetzt erst offenbart nämlich das polnische Verkehrswesen seine tiefsten Abgründe. Der Wahnsinn findet eine Fortsetzung. Alles, was wir bisher erleben durften, setzt sich genau so fort, nur, dass noch einige neue Facetten dazukommen. So stellen wir plötzlich fest, dass uns im Blockverkehr ständig Autos entgegen kommen, die eigentlich Rot haben müssten, und uns auf das Schotterbankett drängen. Ja, Zefix! Beim nächsten Rotlicht, das wir deutschsinnig und pflichtversessen aussitzen, überholt uns sogar von hinten ein Fahrschulwagen und fährt in die Verbotszone. Nun wundert uns nichts mehr. Folgerichtig beschließt der Chauffeur jetzt, seine automobilistischen Seelenabgründe für die liebenswürdigen Nachbarn zu öffnen und ihnen zu zeigen, dass wir höflich und freundlich sein können, aber nicht doof sein wollen, schließlich ist der Fahrschüler nicht das erste Fahrzeug, das uns überholt und uns zu erkennen gibt, dass wir von den hiesigen Sitten und Gebräuchen offenbar keine Ahnung haben. Aber wir sind lernfähig. Der Chauffeur begibt sich augenblicklich auf das ortsübliche Automobilisten-Niveau. Wer ihm jetzt begegnet, erblickt hinter dem Steuer eines deutschen Wohnmobils einen grimmigen Nackenstachler aus der Familie der wehrhaften Agamen, ein Drachenabkömmling, der zu allem bereit ist. Ab sofort wiederentdeckt der Womo-Drache seine männliche Rot-Grün-Schwäche und macht sie sich zum Komplizen; ab sofort streicht er alle Ampelfarben aus seinem Spektrum und schiebt sich wie ein Eisbrecher durch den Gegenverkehr. Jetzt zollen die Einheimischen dem Urlauber Respekt und rumpeln über die Schotterpisten bis zum Achsbruch. Jetzt trägt die Agame ein Messer im Maul. Jetzt lebt er das Tier in sich. Gelegentlich scheinen einige Entgegenkömmlinge geradezu in Panik auszubrechen, weil der weiße Bolide keine Anstalten macht auszuweichen, und fliehen erschreckt zwischen Baumateriel und Warnbaken vom Rüttelasphalt ins Rumpelgeröll. Ja, kann schon sein, dass der Ausländer nicht alle Spielregeln auf die Schnelle begriffen hat, aber das ist der Preis, den der Einheimische für seine Anarchie zu bezahlen hat. Dem grimmen Chauffeur ist diese Durchstecherei auch keine ungetrübte Freude, obwohl gelegentliche Schadenfreude die Laune beflügelt. Seine Stimmung liegt auf jenem Tiefpunkt, auf dem ein Mörder den letzten Rest von Skrupel hinweg wischt und zur Tat schreitet. Diese gelbgallige Befindlichkeit weist dem Chauffeur nur einen Ausweg aus seiner finsteren Befindlichkeit: Go West, immer nach Westen, immer weiter, dreh dich und das Womo nicht mehr um, bevor dir der Tom sagt, dass du wieder deutschen Boden unter den Reifen hast. Die Reiseleiterin ahnt die finsteren Planungen des Chauffeurs, lässt ihn nicht mehr aus den Augen und versucht, dem Tier an ihrer Seite mit der Macht der guten Worte beizukommen. Das gelingt ihr insofern, als er nach 125 Kilometern auf den Parkplatz bei Jelonki rollt (Nr. 149, N 54° 02‘ 14,3‘‘ E 19° 34‘ 28,6‘‘). Es ist 15:30 Uhr. Drei Stunden nach unserem Aufbruch von der Heiligen Linde. Drei Stunden für 125 Kilometer. Der Chauffeur schwört seinem Fluchtversuch ab, schwört aber auch, frühestens in zehn Jahren wieder einen Trip nach Polen zu wagen, wenn die Hoffnung berechtigt ist, dass auch die letzten Relikte der Vergangenheit verkehrstechnisch aufgearbeitet sind.
Bevor wir zur Besichtigung des Kanals und seiner technischen Raffinessen schreiten, bleiben wir erst einmal im Franz sitzen und warten ab, besser: wir wettern ab. In dem Maße, wie sich die Laune des Chauffeurs auf dem Herweg verfinsterte, verschloss sich auch der Himmel und ballte schwarze Wolken, wie der Chauffeur schwarze Gedanken akkumulierte. Jetzt befreit sich der Himmel von seiner schweren Last und trommelt wütend auf Franzens Dach.
Nach wenigen Minuten ist der Himmelserguss vorüber und wir schreiten, nein, nicht zur Tat, sondern zur Besichtigung des Kanals, der sich nur ein paar Meter vom Stellplatz entfernt Bahn durch das Gestrüpp und den Uferbewuchs bricht. Viel zu eng scheint uns dieser Kanal, um Schiffe zu tragen, aber als der Chauffeur in die Knie geht und durch das Laubwerk späht, ist es ihm, als schwebte vor seinem Auge das Grammophon des Fitzcarraldo vorbei, jenes, das im gleichnamigen Film Leinwand füllend durch den Dschungel des Amazonas gleitet, nichts als ein Grammophon vor dem Hintergrund der grünen Hölle mit der scheppernden Stimme Enrico Carusos. Gänsehaut ermächtigt sich schon wieder seiner. Auch hier könnte – theoretisch – auf dem Bug eines leeren Ausflugdampfers ein Grammophon durch das Buschwerk von Ermland-Masuren gleiten, ersatzweise mit der brüchigen Stimme des Karol Wojtyła – und da ist sie schon wieder, die Gänsehaut oder, wie der Anglosachse zu sagen pflegt: the hebbie-jeebies. Klingt lustig und lebensbejahend. Vor einer Stunde hätte der Chauffeur die medizinische Variante der Übersetzung vorgezogen: horripilation. Aber jetzt, ja, jetzt kann er sich mit heebie-jeebies durchaus wieder einverstanden erklären. Es geht ja weiter das Leben, und das Grammophon mit der Stimme des Wojtyła bildet er sich ja auch nur ein.
Trockengelegter Kanal mit Rampe
Wir wandern ein Stück den Kanal hinunter und die Rampe hoch, über welche die Schiffe sonst gezogen werden, bestaunen die ambitionierte Technik, die diese Huckepack-Touristik möglich macht. Reisen lehrt einen immer wieder, dass auch andere Völker Hirn in der Büchse haben und hatten, was den Stubenhockern, die solches gerne bestreiten, fehlt. Wir bezeugen also in aller Form: Die Polen haben nicht nur eine allgegenwärtige Maria und einen omnipräsenten Wojtyła, Pirogen mit Sauerkraut und bei lebendigem Leib gerupfte Gänse, sondern eine beeindruckende Kulturgeschichte und feine technische Meisterleistungen in ihrem Almanach. Und sie klauen auch keine deutschen Autos mehr, was den Großmoderator Harald Schmidt nötigte, sich mangels anderer Themen zur Ruhe zu setzen.
Nachdem wir uns überzeugt haben, dass der Reiseführer recht hat und definitiv kein Schiff hier zu erwarten ist, jedenfalls nicht, bevor die Fahrrinne frei gebaggert wurde, machen wir uns um 16:15 Uhr auf die Weiterreise. Letztes Ziel für heute: Elbląg (Elbing). Eine Stunde später, nachdem wir wieder einmal versucht hatten, schlauer zu sein als unser Tom, was gelegentlich keine Kunst ist, aber heute zum wiederholten Male krachend misslingt, fahren wir nach ein paar völlig überflüssigen Schnörkeln und Kringeln auf den Campingplatz von Elbląg (Nr. 148). Der Platz liegt direkt am Kanal, von wo aus sonst die Schiffe in den Kanal stechen und nur wenige Fußminuten von der Altstadt entfernt. Gute 220 Kilometer liegen heute hinter uns, die meisten davon unter extrem erschwerten Bedingungen.
Dem Campingplatz kann man nichts schlechtes, aber auch nichts Erwähnenswertes nachsagen, außer dass er in der Hand eines Platzaufsehers steht, der sehr deutsch sozialisiert sein muss, so eine Art Hausmeister Krause, der überall zugleich ist und dem nichts, absolut nichts entgeht, bestimmend und servil zugleich, buckelnd und machtbewusst wie ein Hofschranze. Uns ist das egal, wir wollen weder ihn adoptieren, noch seine Frau evangelisch machen, sondern nur einen Platz für die Nacht.
Um 18:45 Uhr machen wir uns auf den Weg zu einem Stadtbummel. Uns verschlägt es fast die Sprache: Diese Fassaden sind geradezu atemberaubend. Elbląg war im 2. Weltkrieg eine der am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen, oder deutlicher: verwüsteten Städte Polens. Und was die Polen anschließend daraus gemacht haben, hätte stilbildend für alle sein oder werden können. Mit sicherer Hand haben sie es geschafft, historische Bauformen und –körper modern zu restaurieren, und zwar so, dass die ursprüngliche Idee in dem neuen Leib weiterlebt, und die neue Form nicht unter dem historischen Diktat marginalisiert wird. Ein solch eleganter Umgang mit dem Wiederaufbau ist uns noch nirgendwo begegnet. Hier lebt das Alte im Neuen und umgekehrt, und beides hat ein eigenes Leben und einen authentischen Ausdruck.
Ganz in der Nähe des Campingplatzes führt eine Brücke über den Kanal und an deren anderen Seite sticht uns ein charmant beleuchtetes Restaurant ins Auge. Das scheint uns einzuladen. Das Restaurant heißt „Specjal Pub“ und trägt seinen Namen zurecht. Es ist nämlich eine richtige Szenekneipe, wo sich die Schönen und Wichtigen Elblągs treffen. Es ist laut hier; von einem riesigen Flachbildschirm an der Wand flimmern dröhnend laut Rockkonzerte und es ist ein Kommen und Gehen wie in einem Bienenstock. Die polnische Szene und ihre Rituale unterscheiden sich in nichts von der irgendwo sonst. Das Personal ist ausgesprochen freundlich und äußerst appetitlich anzusehen, was nicht nur den Chauffeur begeistert. Wir heben allerdings den Altersschnitt in historische Höhen, was uns aber niemand spüren lässt oder übel nimmt. Wir sind ganz zweifellos sehr gern gesehene Gäste. Die Karte ist eher eine Snack-Karte, aber durchaus mit Anspruch. Wir wählen einerseits Pirogi mit Salat, andererseits Seafood Chowder mit Prawns, dazu ein Bier und ein Radler. Das ganze kostet 43 zł.
Der Oberländer Kanal im Abendlicht Um 20:15 Uhr sind wir beim Franz und den Mädels zurück, begeistert von der Stadt, sehr angetan vom Szene-Pub, seinem Essen und Personal.
Gegen 22 Uhr machen wir das Licht aus und beschließen einen Tag, der unter dem Motto stand: zu früh und zu spät. Zu früh, um den Kanal in Betrieb zu sehen, zu spät fürs Konzert in Heiligelinde. Trotzdem hat uns das Leben für unsere Zeitprobleme nicht bestraft, sondern reichlich beschert. Die größte Bescherung waren allerdings die Straßen. Die nehmen wir ein bisschen übel.
Freitag, 22. August 2014
Um 7:45 Uhr kriechen wir aus den Federn – und das soll noch Folgen haben, wie wir bald sehen werden. Der Himmel ist blank und blau, die Luft bescheidet sich mit 13° C. Das weckt aber Hoffnung auf mehr.
Um 10:25 Uhr verlassen wir den Campingplatz, den wir insgesamt als angenehm in Erinnerung behalten werden. Er liegt mit kaum mehr als 500 Meter vom Zentrum Elblągs ausgesprochen günstig, wodurch er aber nachts ein wenig laut ist. Uns stört das aber nicht. Die Sanitäranlagen sind ansprechend und sauber mit Musikbeschallung, eine Hundedusche gibt es auch, und Hausmeister Krause ist nicht nur allgegenwärtig, sondern auch da, wenn man ihn braucht, z.B. wenn man sein Womo entsorgen muss. Dann eilt er herbei und öffnet eigenhändig einen Schacht im Boden. Hier gibt es nämlich mehrere im Boden versenkte Entsorgungsschächte, wodurch längere Wartezeiten bei massenhafter Abreise umgangen werden. Möglicherweise werden wir auch Hausmeister Krause in guter Erinnerung behalten, denken tun wir jedenfalls noch an ihn, wie seine positive Erwähnung belegt. Für den ganzen Service bezahlen wir 56 zł.
Die Marienburg des Deutschen Ordens heute ... Unser e
... und 1945 rstes Ziel ist heute Malbork (Marienburg), rund 30 Kilometer südwestlich von Elbląg. Die Marienburg liegt am Ostufer der Nogat, wurde im 13. / 14. Jahrhundert vom Deutschen Orden erbaut, ist das größte Backsteingebäude Europas, die drittgrößte Burganlage nach dem Hradschin und dem Kreml und wurde 1997 zum Weltkulturerbe erklärt – genug Gründe, sie weder links, noch rechts liegen zu lassen.
Um 11 Uhr treffen wir am Parkplatz (Nr. 150) ein und werden auch sofort, wie wir das schon von Heiligelinde kennen, zu einem schattigen Parkplatz gelotst. Falls jemand die Polen nicht mögen sollte, muss er ihnen zumindest Respekt und Anerkennung zollen für ihre Gastfreundlichkeit und Zuvorkommenheit. Wir jedenfalls schließen sie jeden Tag mehr ins Herz. Dass sie uns zu allem Überfluss auch noch einen blauen Himmel mit Wattebäuschchen liefern und 24° C dazu, rechnen wir ihnen hoch an.
Auch das Touristenzentrum mit Schalterhalle und Ticketschaltern ist nicht nur auf neuestem Stand der Technik, sondern bestens organisiert. Wir erleben hier einen erheblichen Andrang, aber das Personal hat hier alles im Griff. Überall warten Fremdenführer für Gruppen- oder Individualführungen, und zwar in so ziemlich allen denkbaren Sprachen. Da stimmt wirklich alles. Wir sind einerseits bayerische Separatisten und neigen nicht zu Rudelbildung, andererseits schwäbische Sparpuristen, was einen Individualservice ausschließt. Also leisten wir uns für 2 x 39.50 zł zwei Audio Guides (auch kein Schnäppchen) und ziehen los. Die Burganlage, die eigentlich drei Riesig - Die Feueresse der Küche Burg
Winzig - Das Plumpsklo mit den Kohlblättern komplexe einschließt, erstreckt sich über 600 Meter. Nach dem 2. Weltkrieg war die Burg zu über 50 % zerstört, und heute steht sie wieder da wie im 14. Jahrhundert. Wir folgen unserem Audio Guide, der wirklich hervorragend gemacht ist, alle wesentlichen Informationen knapp, aber verständlich zur Verfügung stellt. Für dieses würdige Weltkulturerbe müsste man eigentlich einen ganzen Tag einkalkulieren, aber so lange können und wollen wir unsere Mädels nicht alleine im Womo darben lassen. Wir geben uns Zeit und übergehen, was uns nicht wichtig ist. Wir werden hier nicht den Versuch starten, unseren Rundgang zu dokumentieren – über die Marienburg kann man sich bestens im Internet selbst informieren. Nur so viel: Jede Minute, die wir dort verbrachten war es wert und mindestens eine zu wenig. In der Anlage sind zudem großartige Ausstellungen integriert, wie z.B. eine Bernsteinausstellung oder eine Waffenausstellung. Doch schon die Burg in ihren historischen Zusammenhängen würde genügen, um sie mindestens noch einmal zu besuchen. Wer wüsste denn ohne diese Besichtigung, dass die Ordensleute sich seinerzeit in einem 30 Meter hohen Burgfried aufs Plumpsklo setzten, ihre Rückstände in einen darunter fließenden Kanal plumpsen ließen und sich anschließend den Hintern mit Kohlblätter putzten. Die Saugfähigkeit und Reißfestigkeit von Kohlblättern kann man zuhause selber testen, wenn es auch bei den meisten mit dem Burgfried nicht klappen wird. Allerdings wollen wir nicht verantwortlich gemacht werden, wenn unsere modernen und wenig widerstandsfähigen Sanitäranlagen dem Ansturm von Kohlblättern nicht gewachsen sind. Also Bitte: Selbstversuch auf eignes Risiko.
Wir sind wirklich begeistert, beeindruckt und berührt von dieser Anlage. Heute ist einer der wenigen Tage, an denen wir uns wünschen würden, ohne vierbeinige Abhängige unterwegs zu sein und nicht Herren über Hunde, sondern Herren über unsere Zeit zu sein. Schon seit einigen Tagen wächst in uns schleichend das Bedürfnis, Polen bald wieder zu besuchen (ja, auch wenn das Verkehrschaos gestern noch andere Gedanken beförderte), seit heute wissen wir, dass wir das schon zu dem Zwecke tun werden, um diese Anlage ein weiteres Mal zu inspizieren. Sie ist es uns wert, und wir sind es uns wert.
Um 13:30 Uhr sind wir wieder beim Franz zurück. Wir lassen die Mädels raus zum Pinkeln. Inzwischen ist es stark bewölkt, auf unserem Rundgang durch die Außenanlagen der Burg wurden wir sogar schon von ein paar Tropfen überrascht, aber jetzt ist es nur völlig zugezogen bei 21° C. Wir bezahlen für einen komfortablen und bestens bewachten Schattenparkplatz (den wir jetzt nicht mehr bräuchten) nochmal 30 zł und fahren um 14 Uhr, obwohl das hier kein Schnäppchen ist, durch und durch zufrieden vom Hof. Allerdings eben auch ein bisschen unzufrieden, weil es nicht nur ein bisschen mehr hätte sein können, sondern müssen.
Der weitere Plan für heute lautete: Gdańsk (Danzig) – Łeba, also stramm nach Nordwesten. Der Plan ist perdu, weil die meisten Pläne schon an der Eingangsbedingung scheitern, so auch dieser. Der Plan begann nämlich mit der Vorgabe: früh aus den Federn. 7:45 Uhr mag für viele Zeitgenossen diese Bedingung erfüllen, nicht aber für unsere Planung. Von hier aus um 14 Uhr nach Danzig zu starten (rund 50 km Luftlinie), die Stadt besichtigen zu wollen und dann nochmal die doppelte Strecke (Luftlinie!) auf polnischen Straßen zu absolvieren, ist japanische Hurtig-Routen-Touristik. Das kommt nicht in Frage. Wir müssen also umplanen. Łeba stand auf dem Tourzettel, weil es einerseits das östliche Einfallstor in den Nationalpark Słowiński ist und andererseits an der Ostsee liegt, wohin wir nun endlich unsere Wassernixen führen wollen. Aber das ist für heute definitiv keine Tour, sondern eine Tortur für die Nixen, die nur im Womo rumhängen müssten. Also heißt das neue Reiseziel: Stegna (Stegen), geradewegs nördlich und schnell zu erreichen, aber vor allem erfüllt es als Badeort die zweite, die Nixenbedingung.
Als wir uns Stegna nähern werden die Vermutungen des Chauffeurs zur bitteren Wahrheit: Stegna ist nicht nur ein Badeort, sondern einer der schlimmsten Sorte. Schon bei der Annäherung an den Ort, ist die Straße kilometerweit von Verkaufsbuden gesäumt, reiht sich Auto an Auto, Womo an Womo und Caravan an Caravan, dass man sich fragen muss, woher diese plötzlich alle kommen. Der Blick des Chauffeurs nimmt das Agamenhafte des Vortags wieder an, sein Blick wird frostig wie eine Gletscherspalte und so verklemmen sich auch seine Lippen. Mit jedem Meter weiter gleicht die Zufahrt immer mehr einem Krämermarkt und die Lebewesen, die diesen Markt bevölkern, scheinen von anderen Galaxien zu kommen, jedenfalls bisher kamen die auf unserer Polenfahrt nicht vor: armselige Geschöpfe, die sich keine Kleider für ihre fetten Bäuche und hängenden Brüste leisten können, sie nur unter minimalsten Stoffresten verbergen können. Die auffälligsten Kleidungsstücke sind Schwimmreifen, die ihnen von den Schultern baumeln und Sonnenbrillen, so umfänglich wie Bratpfannen. Der Chauffeur versichert sich bei seinem Tom, dass er wirklich nicht aus Versehen in El Arenal angekommen ist. Nein, der Tom bestätigt: Stegna, Polen.
Wortlos rollt der Chauffeur durch den Ort, östlich, dem Frischen Haff und Russland entgegen. Lieber bei Putin im Knast schmachten als in Stegna die Menschenwürde verlieren. Wir fahren auf die Frische Nehrung, jene schmale Landbrücke zwischen der Danziger Bucht und dem Frischen Haff (kleine etymologische Hilfe: frisch kommt von friesisch), passieren die KZ-Gedenkstätte Stutthof (Sztutowo) und rollen durch Örtchen mit so charmanten Namen wie Kąty Rybackie (Bodenwinkel) und Krynika Morska (Kahlberg-Liep), was unseren Stimmungspegel wieder wohler temperiert.
Waldparkplatz Piaski II Um 15:20 Uhr und nach guten 100 Kilometern machen wir auf den Waldparkplatz Piaski II (Nr. 153) fest. Wir betreten hier schon fast Terra Putineska: Nur vier Kilometer sind es von hier nach Russland, weshalb unsere Handys auch ständig versuchen, mit uns auf Russisch zu kommunizieren. Mitten in einem mächtigen Kiefernwald lagern wir auf sandiger Erde, um uns herum weitere Gestrandete, überwiegend Zelttouristen, die sich alle irgendwo wischen die Bäume verkrochen haben. Piaski II klingt nicht nur wie ein Zeltlager oder Biwakplatz, es ist eins – aber, wie wir bald sehen werden, ein ganz liebenswertes.
Hier geht's zum Strand Wir machen uns umgehend auf, den Strand zu erkunden (die Reiseleiterin besteht darauf), der nur 150 Meter entfernt ist. Eine Pracht ist das hier, ein fast leerer Strand, weißer Sand, blau bewölkter Himmel – ein Versprechen.
Schnell sind wir wieder zurück, weil wir jetzt einen Kaffee benötigen. Beim Öffnen des Kühlschranks kommt dem Chauffeur sogleich ein 500-g-Becher Joghurt entgegen geflogen und ergießt sich in einer leckeren Lache über den Womo-Boden. Fianna, die Blues-eigene Chefputze, nimmt sich ihrer, der Lache, an und das macht sie, wie gewohnt, sehr gründlich, zumindest was die verwertbaren Teile des Joghurts angehen. Den unverwertbaren Rest muss der Chauffeur wegputzen, der sich in seinen Ruhephasen als Zweit-Putze des Blues unentbehrlich gemacht hat. Ungefähr die Hälfte des Joghurts kann er auch noch retten und darf sich so seiner Unentbehrlichkeit sicher sein. Er hat sich wieder einmal um den Blues verdient gemacht, der Chauffeur. Draußen, unter himmelhohen Kiefern und bewölkten Himmelsfetzen lassen wir uns bei 23° C unseren Kaffee munden und haben Stegna längst vergessen. Dann lehnen wir uns zurück und lesen: lehnen und lesen.
Um 17:30 Uhr machen wir dann einen richtigen Strandspaziergang und müssen beurkunden, dass polnische Strände gepflegt zu sein scheinen, wie wenig andere. Wir hatten auch schon registriert, dass schräg gegenüber von unserem Lagerplatz der Platzwächter in seinem Kombi residiert und sich wirklich nützlich macht. Auch der Waldbiwakplatz ist peinlich sauber gehalten, ein Dixi-Klo macht einen sehr ordentlichen und aufgeräumten Eindruck und die Müllsäcke werden laufend ausgetauscht.
Eifrige Fianna - Ist das etwa Bernstein?
Glückliche Anouk am Stran Eine Stunde wandern wir den Strand ab, immer auf der Suche nach Bernstein, aber woran soll man den erkennen, wenn man sich nicht auskennt. Hier gibt es tausende von Steinen, die Bernstein sein könnten, weil sie vor allem im nassen Zustand so tun als ob. Wir sind sicher, dass wir schon einige Steinchen dieses sogenannten Ostseegolds gesehen und übersehen haben, aber wie erkennt man sie? Die Reiseleiterin doziert, wie man das als Lehrerin eben gewohnt ist, dass man Bernstein, so habe sie es jedenfalls im Reiseführer gelesen, einfach mit dem Feuerzeug anzünden könne, weil Bernstein Harz ist und brennt. Was tun, wenn man Nichtraucher ist und kein Feuerzeug in der Tasche hat? Und vor allem: Was taugt ein verschmortes Juwel, außer, dass man weiß, dass es einmal eines war? Man könne sie auch auf eine Glas- oder Steinplatte fallen lassen, dann klingt Bernstein dumpfer als eine ähnlich aussehende, geschliffene Glasscherbe. Aber wenn man kein Vergleichsmuster bei sich trägt, ist das auch ein unsicheres Verfahren. Dritte Möglichkeit, die Reiseleiterin ist jetzt in Fahrt gekommen: Bernstein schwimmt auf Salzwasser. Ob er aber auch auf einer Salzwasser-Brandung schwimmt, weiß sie nicht zu bestätigen. Der Lehrling glaubt eher nicht daran. Und soll er jetzt Hände voll mutmaßlichem Bernstein auf Wasser werfen und warten ob irgendein Kügelchen nicht sofort absäuft? Letzte Variante: Man kann Bernstein auch mühelos mit der Nadel einritzen, ist ja nur Harz, am besten ein Loch mit einer heißen Nadel bohren. Schön: Wir haben keine Nadel dabei und ein Feuerzeug ist uns inzwischen auch nicht zugeflogen. Manchmal ist Wissen auch eine Ausprägung von Hohn.
Der Strand von Piaski am Abend
Abendstimmung am Strand von Piaski Nach einer Stunde sind wir zurück und immer noch bernsteinlos. Wir setzen uns unter die Bäume und spielen auf ihrem Pad “Wer wird Millionär“. Der Chauffeur ist in dieser Disziplin kaum zu schlagen (was sie heftigst bestreitet, aber den Gegenbeweis nicht antreten kann), aber am Ende keinen Cent reicher. Da hätte ein Körnchen Bernstein mehr gebracht. Unser Spaßbegleiter heißt Cytronowka, der Zitronenwodka. Wir lassen es uns einfach gut gehen, hier unter den fast schon russischen Kiefern und meinen, nach ein paar Schlucken schon die Babuschka singen zu hören. Der Regen bricht das stille Glück ab und wir verkriechen uns in den Franz. Alkohol und Fett gehören zusammen wie Bayern und Lederhose, und deswegen erinnern wir uns daran, dass wir noch ein größeres Stück Aal im Kühlschrank haben. Wir machen uns Salat dazu – und sind anschließend immer noch hungrig. Der Aal von Angerburg, ein echter Hungerhaken.
Danach, gegen 20:30 Uhr, ist die kleine Regenfront durchgezogen und wir setzen uns unter die immer schwärzer werdenden Kiefern, bis sie immer höher und schwärzer in den Himmel wachsen und das kleine Loch mit den vielen Sternen schließen.
Der Chauffeur schläft unruhig in dieser Nacht, nicht wegen des dürren, fetten Aals, sondern weil er Sorge trägt, diese Sandgrube, in der sie ihr Lager aufgeschlagen haben, nicht wieder ohne fremde Hilfe verlassen können. Ihm sind die tiefen Reifenspuren nicht entgangen, die um sie herum irgendwo in tiefen Gräben enden, aber nicht aus der Kuhle führen. Bei der Ankunft sieht man eine herrliche Biwakstelle, schmeißt das Ruder herum und steht voller Glück in der herrlichsten Parkbucht der Welt. Bis man die Details wahrnimmt und registriert, dass man in einem Sandbunker steht, der selbst einen Stargolfer vor Probleme stellen würde. Die Spuren im Sand jedenfalls erzählen vom Scheitern vieler.
Samstag, 23. August 2014
Ein paar kleine Schauer trommeln morgens auf Franzens Dach.
Fianna beim Morgenbad
Anouk beim Morgenbad Um 7:30 stehen wir auf, die Chefin vergnügt sich mit den Hunden am Strand, der Chef macht das Frühstück und den Franz reisefertig und grübelt, ob sich der Regen günstig oder eher ungünstig auf seine Ausfahrt aus dem Sandbunker auswirken würde.
Um 9:30 Uhr hat der Regen aufgehört und wir frühstücken bei etwas windigen 17° C im Freien. Der Chauffeur zeigt wenig Appetit und bangt dem Augenblick der Wahrheit entgegen. Vor allem aber verflucht er sich, dass er wieder einmal nicht seinen Instinkten gefolgt war und Sandbleche gekauft hat (sie wurden sogar von der Checkliste getilgt!), sondern den großspurigen So-was-braucht-man-nicht-wir-fahren-ja-nicht-in-die-Sahara-Sprüchen nachgegeben hat. Sie schiebt ihn hier bestimmt nicht raus und die Zeltler auch nicht und der Platzwart mit seinem Klappermobil schon zweimal nicht und ein Traktor ist weit und breit nicht zu sehen. Und nach Jahren wird man nur noch anhand unserer DNA …
Um 10:15 Uhr schnurrt der Franz im ersten Anlauf aus dem Sandbunker - Hammerchauffeur und obersuper Wüstenfranz! Wieder einmal behält die Sorglosigkeit die Oberhand. Aber Sandbleche, gerne auch aus Kunststoff, sind trotzdem die nächste Anschaffung.
Heute steht also Danzig auf dem Programm, das wir gestern nicht mehr anfahren wollten. Man kann die Stadt via Brücke über die Wisła ansteuern oder über eine Fähre. Man könnte jetzt raten, welche Variante dem Chauffeur vorgegeben wird. Eine kleine Hilfe: Der Weg über die Fähre ist um einiges kürzer, dauert dafür aber länger. Die Brücke führt erst mal zu weit südlich vom Ziel weg, geht trotzdem schneller und ist etwas für Schalenkoffertouristen. Na? Richtig! Um 11:10 Uhr stehen wir in der Warteschlange vor der Wisła-Fähre, um 11:25 Uhr sind wir endlich drauf und fünf Minuten später drüben. Die Wartezeit vertreibt sich die Cheflogistikerin mit Souvenirkäufen: Ohrstecker aus Bernstein (42 zł) und ein Bernsteinarmband, das zugegeben richtig schick ist, was man von Bernsteinschmuck nicht immer behaupten kann (50 zł). Somit ergibt sich für die rustikale Weichselüberquerungsvariante folgende Bilanz: 42 zł (Ohrstecker) + 50 zł Armband + 30 zł Fähre = 122 zł + ca. 30 Minuten Verspätung = 1 ungetrübtes Reisevergnügen. Fehlt nur noch 1 Schluck Danziger Goldwasser obendrauf.
Die Pontonbrücke von Sobieszewo
Kurz darauf müssen wir bei Sobieszewo noch einen Nebenarm der Wisła, die Martwa Wisła, überqueren, und zwar auf einer 200 Meter langen Pontonbrücke (Most pontonowy w Sobieszewie), die noch von den Pionieren aus dem 2. Weltkrieg hier zurückgelassen sein muss. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen. Das Vergnügen dieser polnischen Amazonasüberquerung wäre uns auch noch entgangen, hätten wir die Brücke genommen. Der Franz zerfällt fast in seine Einzelteile, und wenn er den Mut und einen Schleudersitz hätte, würde er die Logistikerin spätestens jetzt ins Wasser katapultieren.
Der Franz rüttelt sich aber wieder ein, während die Beifahrerin vor Vergnügen fast zu singen begonnen hätte, und um 12:10 Uhr fahren wir auf den bewachten Womo-Stellplatz im Zentrum von Danzig (Nr. 160, ul. Łąkowa 54, N 54° 20‘ 45,84‘‘ E 18° 39‘ 44,90‘‘). Wir brechen zu einem Stadtbummel auf.
Die Motława und das Krantor im Hintergrund Die Łąkowa nach Norden. Dann links und wir stehen nach wenigen Minuten vor dem Grünen Tor, dem Eingang in die Langgasse und die Altstadt. Rechterhand am Ufer der Motława, grüßt die vielleicht berühmteste und eindrucksvollste Ansicht Danzigs: die malerischen Häuser der Altstadt mit dem berühmten Krantor. Um diesen Anblick und auch die späteren Eindrücke von Danzig richtig einordnen zu können, muss man wissen, dass von alldem nach dem 2. Weltkrieg nahezu nichts mehr übrig war: Über 700 Gebäude wurden nach historischen Plänen wiederaufgebaut.
Hinter Danzigs Wohnzimmer - Der Lange Markt dem Grünen Tor befinden wir uns in Danzigs Prachtstraße und Schaufenster, dem Langen Markt (Długi Targ). Patrizierhäuser mit ihren Barock- und Spätrenaissancefassaden säumen diese Fußgängerzone, leider beherbergen sie in ihrer Basis überwiegend die weltumspannenden Geldsaugstationen: Banken, Ramsch-, Kitsch- und KIK- und Kackläden, Subways, San Francisco Coffee Shops, Burgerbuden und was sonst noch alles überall auf der Welt versucht, den Besuchern das Geld aus den Taschen zu fingern. Aber auch hochwertige Bernstein-Juweliere, speicheltreibende Bäckereien und Konditoreien und anderes, was hier hin gehört und sich hoffentlich noch lange gegen die Expansionszwänge des globalen Geldimperiums zu wehren vermag, hat hier überlebt. Organisierte Folkloreshows bemühen sich ebenso
Touristenfolklore um unsere Aufmerksamkeit wie einsame Bluesbarden. Bis zum Goldenen Tor schlendern wir den Langen Markt hoch, vorbei am berühmten Neptunbrunnen, dann biegen wir nach rechts ab und bummeln parallel zum Langen Markt wieder zurück. Auf dem Weg sehen wir uns noch in den Markthallen um und decken uns mit einigen Köstlichkeiten ein. Die Reiseleiterin wirkt verklärt und macht den Eindruck, als ob sie in die nächste Immobilienbude stürzen und sich eine Penthauswohnung aussuchen wollte. Sie scheint in Günther Grass‘ Geburtsstadt überglücklich zu sein. Der Chauffeur spürt Fluchtreaktionen in sich aufkeimen, nicht wegen der drohenden Penthauswohnung, sondern wegen sehr gemischter Gefühle dieser Stadt gegenüber. Die Optik Danzigs ist sicher beeindruckend, aber sie ist wie sie scheint: viel Schein auf polierten Fassaden. Darunter ist jede Menge Dreck und Unrat, so viel, wie wir noch an keinem anderen Ort in Polen angetroffen haben. Der Tourismus bindet alle Kräfte dieser Stadt, für das Feinsinnige hinter den Kulissen und den Kauf eines neuen Besens reichen die Kräfte nicht mehr aus. Der Chauffeur spürt nicht viel mehr als Geldgier, Nepp, Geschiebe und Gedränge. Er schaut halt gern unter die Röcke und mag es nicht, wenn das, was er dort sieht und riecht, nicht im Einklang mit den Designerklamotten und den Klunkern steht. Man einigt sich, nochmal zum Langen Markt hinüber zu schwenken und über diesen zum Grünen Tor und dem Stellplatz zurück zu gehen. So hat jeder etwas, sie ein bisschen Trubel und Gepränge, er die Gewissheit, dass es bald vorüber ist.
Um 14:30 Uhr sind wir wieder beim Franz und den Mädels, die sich jetzt auf dem großen Parkplatz die eingeschlafenen Beine vertreten und die Blasen leeren können. Um 15 Uhr fahren wir weiter.
Danzig, so war beschlossen, sollte der letzte Kulturstopp sein, jetzt stehen Wasser und Dünen für unsere Badenixen auf dem Programm. Die erste Pool-Position soll heute Kopalino im Kasubischen Küstenland sein, womit wir uns dann schon in Pommern befänden. Knapp hundert Kilometer liegen noch vor uns und den Dünen.
Campingplatz Kopalino Nach insgesamt guten 150 Kilometern sind wir um 17 Uhr am Campingplatz Kopalino (Campingplatz neben dem Picknickplatz Nr. 179, N 54° 48‘ 35‘‘; E 17° 50‘ 22‘‘), der tief vergraben in einem mächtigen Kiefernwald liegt. Abgegrenzte Stellplätze gibt es hier nicht; der Raum zwischen den Bäumen und die offensichtlich benutzten Stellen signalisieren, wo man sich zur Ruhe setzen kann. Der Wald ist fest in polnischer Hand, der einzige Nicht-Pole ist ein Deutscher mit einem zum Wohnmobil umgebauten Kübelwagen. Hier überwiegen Zelte, der kleinere Rest sind Wohnwägen. Wir suchen uns einen Platz, der über Strom verfügt, aber keinen liefert. So lernen wir den Elektryk kennen, den wichtigsten Menschen auf dem Platz, der Neuankömmlinge mit dem begehrten Stoff versorgt, auf den sie auch an so wildromantischen Flecken wie hier nicht gerne verzichten. Der Elektryk begleitet den Neuankömmling, wodurch er sofort weiß, wer wo lagert, schaltet den Strom frei und verschwindet wieder. Da der Strecker von nun an im Verteiler weggesperrt ist, kann auch niemand auf die Idee kommen, sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub zu machen, es sei denn, man ließe das ganze Stromkabel zurück. Wie wir in der Folge noch erleben werden, ist der Elektryk auf diesem Platz allgegenwärtig. Ständig schraubt er Scheinwerfer an die Bäume und demontiert sie von anderen. Auch Lautsprecher werden montiert, Laute geben sie aber nie von sich. Der Elektryk ist das Männlein, das unentwegt durch den Waldplatz streift, wie der Bi-B-Butzemann, aber, vermutlich aus Gründen der Tarnung oder des Naturschutzes auch kein purpurrotes Mäntelein um hat wie das berühmte Männlein, das im Walde steht, sondern eine unauffällige blaugraugrünbraune Latzhose. Außerdem haust er hier in einem Wohnwagen, damit er jederzeit an der Elektrik tricksen kann.
Der Strand von Kopalino Wie
Am Strand von Kopalino üblich verschwinden wir umgehend mit unseren Mädels zum Strand. Gerade mal fünf Minuten brauchen wir dazu und lernen dabei die Infrastruktur des Platzes kennen; wir sehen, dass es einen Laden gibt, eine kleine Kneipe, passieren die Sanitäranlagen und erfahren so, dass sie in Containern untergebracht sind. Rustikal ist hier das Motto, dem man treu bleibt. Vor uns erstreckt sich ein kleiner Traum von Strand, über uns ein blauer Himmel und um uns herum müht sich ein strammes Windlein, jedoch bei immerhin 20° C. Es sieht alles nach einem wohnmobilen Volltreffer aus. Und auch Anouk scheint dieser Ansicht zu sein, denn sie scheint binnen Minuten einen Jungbrunnen zu durchlaufen und um mindestens drei Jahre jünger geworden zu sein. So fix und fidel haben wir sie schon lange nicht mehr auf ihren morschen Beinen flitzen gesehen.
Um 18:20 Uhr sind wir wieder zurück. Im Laden kaufen wir noch etwas Bier, das wir ohne Fußballbegleitung zu uns nehmen müssen, weil unter den hohen Bäumen kein Fernsehempfang zustande kommt. Somit fällt der erste Spieltag der Bundesliga aus. Für uns jedenfalls, aber wir begehen ihn wenigstens standesgemäß mit einer Flasche polnischem Bier.
Anouk, das Meerwesen Um 19:30 Uhr machen wir uns unter den Bäumen ein kleines Brotzeit-Picknick und besuchen anschließend noch einmal den Strand. Das sind wir Anouk schuldig, die gar nicht richtig zur Ruhe kommt, die aufgeblüht und einfach nur eine Schau ist.
Um 20:30 Uhr sind wir zurück und um 22 Uhr gehen im Franz die Lichter aus.
Unser erster Eindruck heute ist sehr positiv, wenn auch rustikal. Wie wir es gewohnt sind in Polen, sind der Platz und die Sanitäranlagen sauber; Toilettenpapier gibt es auch überall, was man von Frankreich selten und von Italien schon überhaupt nicht behaupten kann. Das ganze Ambiente hier ist eher das eines Feldlagers; jetzt flackern überall kleine Feuer in Feuerkörben und schaffen eine gespenstische Szenerie. Vor allem ist der Platz authentisch, er ist, wie er ist und wie ihn die Polen offenbar schätzen; auf ausländische Touristen ist man nicht eingestellt, Deutsch spricht man hier bestenfalls bröckchenweise, gerade, dass man das ein oder andere versteht und Englisch ist völlig außen vor. Dafür gibt man sich umso mehr Mühe und versucht, den Außerpolnischen die Wünsche von den Augen abzulesen. Und wer mit Hund reist, muss in Kopalino auch nicht die Sorge haben, dass dieser vereinsamt.
Sonntag, 24. August 2014
Seewetter über Kopalino Um
Anouk ist unermüdlich glücklich 7:15 Uhr kommt Bewegung ins Womo. Es rumpelt und rüttelt am Franz, aber durch die Dachluken und Baumwipfel blinkt blauer Himmel.
Um 7:45 Uhr machen wir uns zu einem Morgenspaziergang am Strand auf. Über uns ist der Himmel so blau, wie er durch die Dachluken schien, aber über der See bauen sich schwere, schwarze Wolken auf. Und es hat auch schon 15° C zu so früher Stunde.
Es ist ein Spaziergang wie wir und die Mädels ihn über alles lieben: Wir sind fast allein, obwohl man um diese Zeit in Polen eher ein paar Leute antrifft als etwa in Frankreich. Anouk schwebt, wie man halt so schwebt mit einer Art Holzbein, der Versuch abzuheben und wie ein Drache davon zu schweben ist ihr anzumerken. Aber das Gewicht der Jahre hält sie in unserer Reichweite. Fianna dagegen bringt sich als paniertes Schnitzel zum Frühstück ins Gespräch. Vom Ballspielen ist sie über und über eingesandet und hat reichlich Mühe, sich das ganze Geriesel immer wieder aus dem Maul zu spülen. Dazu nimmt sie ein kräftiges Maul voll Ostseewasser, spült es Ein wenig Unterordnung für die Erdung durch die Zähne und schleudert es in einer schwungvollen Bewegung im Dreiviertelkreis um sich. Danach gönnt sie sich wieder eine Ganzkörperpanade - und so fort.
Um 8:30 Uhr sind wir wieder beim Franz und bereiten uns ein Frühstück.
Der Versuch, die Bundesliga-Ergebnisse via Internet zu erfahren scheitert: Kein Wifi hier und über den Internetstick haben wir Lieferzeiten wie zu Zeiten der Pharaonen. Das bedeutet nicht nur, dass wir nicht wissen, was gestern auf den deutschen Fußballplätzen gelaufen ist, sondern dass wir auch keine smarte Planung der Weiterreise vornehmen können und keine Wetteraussichten per Wetterradar bekommen. Wir sind hier wirklich in the middle of nowhere.
Und weil wir uns so auch nicht über unsere Zukunft Gedanken machen können, lassen wir einfach die Gegenwart auf uns wirken. Nach dem Frühstück wird gelesen, geschrieben, gewaschen, Wäsche aufgehängt, gespült, gelesen, geschrieben, Klo geleert… Beim Spülen müssen wir die Erfahrung machen, dass es nur kaltes Wasser gibt. Mit kaltem Wasser zu spülen ist für Zivilisatoren eine gewisse Herausforderung, obwohl vermutlich der größte Teil der Menschheit sein Geschirr in einem kalten Fluss oder See abwäscht. Dennoch: 1 Minuspunkt in der Bewertungsskala. Aber das kann Kopalino locker verkraften.
Um 13:15 Uhr droht die Reiseleiterin damit, heute noch Radfahren zu wollen. Der Müßig-Gang macht ihr schon wieder zu schaffen und soll durch einen 18-Gang abgelöst werden. Den Chauffeur befallen daraufhin schlagartig Gliederschmerzen bis zum Scheitel, er stürzt in eine bleierne Müdigkeit und Schwere (was auf einen Malariaschub aus seinen letzten Kriegstagen in der Kyrenaika zurückzuführen ist) und er muss schleunigst zu Anouk ins Bett.
Gestrandet im Sand
In den Dünen von Kopalino
Radwanderung um Kopalino
Um 14:30 Uhr bekommt er zu hören, dass die lybische Wüste rund um Tobruk nicht als besonders gefährdetes Malariagebiet bekannt ist und er sich nicht so anstellen, sondern auf die Beine stellen solle. Das Leiden im Leib kann nicht verhindern, dass er sich auf den Sattel schwingen muss. Anouk, ach die Glückliche, darf den Franz bewachen, aber er muss mit Fianna und der Sklaventreiberin strampeln. Erst geht es etwas unorthodox zwischen Heidelbeeren, Cranberries und Heidekraut durch den finsteren Forst, dann auf breiten Schlackenwegen westwärts und über die Dünen zum Strand. Der Versuch, am Strand zurückzufahren bleibt im weichen Sand stecken, weswegen wir den Weg oben auf den Dünen entlang wählen. Nach fünf Viertelstunden und fast 10 Kilometern sind wir wieder bei Anouk. Natürlich hatte der leidende Wüstenfuchs seinen Spaß im polnischen Sandkasten: blitzblauer Himmel, schneeweiße Wolken, rohweißer Strand und ein flaschengrünes Meer. Dazu ein reger, aber angenehmer Wind und 19° C. Welche Wünsche sollen da noch offen bleiben? Andere fliegen für so etwas in die Karibik; hier fehlen einzig die Palmen und ein paar Grad Celsius. Und die ganze Bescherung bekommt man nahezu exklusiv - kaum jemand unterwegs, der einem das Glück streitig machen könnte.
Um 16 Uhr kommt dann der Kuchen aus einer der leckeren Danziger Konditoreien auf den Campingtisch. Dann sehnt sich der Körper nach einer hygienischen Verbesserung, und der Wohnmobilist muss zu Protokoll geben, dass es für den gesamten Platz nur vier Duschen in den besagten Containern gibt, davon zwei mit nur kaltem Wasser. Die beiden Warmwasserduschen scheinen unentwegt besetzt zu sein. Jetzt bekommt das rustikale Flair aber doch eine kräftige Scharte ab; der Chauffeur entscheidet sich in der Bewertungsskala nicht nur für einen massiven Punktabzug, sondern für die Vergabe eines Fluchtpunkts. Die Reiseleiterin winkt gelangweilt ab, kann sie doch davon ausgehen, dass ihr bei Bedarf und auf Wunsch beide Warmduschen zur Verfügung stehen werden; sie findet ja auch am Samstagmittag in der Münchner Innenstadt einen Parkplatz. Für sie ist das hier Kinderkram für alternde Chauffeure.
Das Restaurant am Kopalino Beach
Um 18 Uhr machen wir uns alle vier zu einem Strandspaziergang auf. Auf dem Weg zurück zum Campingplatz steht ein Strandrestaurant mit Freisitz. Dort wollen wir uns zum Abendessen niederlassen. Generell gilt in Polen, wenn man sich nicht in den Städten aufhält, dass die Speisenkarte nicht sehr variantenreich ist. Meist gibt es gegrillten oder gebackenen Fisch, Hähnchen oder Schwein gegrillt oder die landestypischen Pirogen mit Kraut. Kartoffeln oder Pommes sind die Standardbeilage (auch Sättigungsbeilage genannt, was bei den üblichen polnischen Portionen nicht wirklich nötig wäre). Die Reiseleiterin entscheidet sich für ein knuspriges Hähnchen mit Pommes, der hungrige Chauffeur für Schweinekotelett mit Bratkartoffeln und einer Gemüsebeilage aus Gurken.
Obwohl hier wenig los ist, dauert es mindestens eine Viertelstunde, bis die Chefin zur Essensausgabe gerufen wird (Selbstbedienung ist hier überall Standard) und ihr Hähnchen gereicht bekommt. Was sie auf einem weißen Plastikteller an den Tisch trägt, sieht aus wie ein paar Fischstäbchen aus Hühnerfleisch mit ausgekühlten Pommes. Dann, nochmal fast zehn Minuten später, wird der Chauffeur aufgerufen. Er bekommt auf einem schwarzen Designerteller zwei herrlich schmackhafte und zarte Schweinekoteletts mit ganzen und herzhaft gewürzten Ofenkartoffeln, dazu ein wirklich phänomenales Gurken-Chutney und Sprossensalat. Dekoriert ist die Kreation mit Tupfern aus Sellerie- und Karottenpüree (auf schwarzem Teller!). Haute Cuisine vs. Micky-Mouse-Teller vom Wienerwald. Fast wäre der Chauffeur für die kalten Duschen entschädigt gewesen, aber das Restaurant hat mit dem Campingplatz nichts zu tun und kann zu dessen Absolution nicht beitragen, obwohl es für seine Feldküche jeden Preis verdient hätte. Die Gerichte, auch das etwas ausgekühlte Hühnchen, waren wirklich frisch zubereitet; da fragt man sich, welche Wartezeiten einzukalkulieren sind, wenn hier mal wirklich was los ist? Mit zwei Halben Bier zahlen wir für alles umgerechnet 12 €. Daraufhin gönnt sich die Reiseleiterin auf dem Heimweg noch eine Gofri (Waffel, man erinnert sich doch hoffentlich noch!) mit Sahne und Heidelbeeren (9 zł).
Auf dem Weg zum Campingplatz steht am Waldrand ein improvisierter Altar, aus Kiefernholz zusammengenagelt, in einem Unterstand, dahinter ein spartanisches Birkenkreuz. Es ist Abendmesse im Kiefernwald. Hier sitzen und stehen die Gläubigen im dämmrigen Wald oder knien auf Baumstümpfen und loben den Herrn unter freiem Himmel. Das ist eine anrührende Szene, die sogar dem Ungläubigen Respekt entlockt, weil man die tiefe Gläubigkeit der Betenden fast mit Händen greifen kann. Alles, was echt ist, ist erst mal gut und verdient respektiert zu werden. Zu Ritualen hält der Chauffeur dagegen größtmögliche Distanz. Während am Waldrand gebetet wird, ist der Campingplatz fast leergefegt, alles ist bei der Messe. Nur ein paar dem Verderben geweihte Nachwuchskatholiken ziehen Federball vor. Auch in Polen weichen die Sitten und Gebräuche von den jugendlichen Rändern her auf.
Das Zelt- oder Feldlager ist inzwischen ziemlich ausgedünnt, nur noch vereinzelte Zelte ducken sich unter die schwarzen Kiefern, aber wo noch Leben ist, ist auch Feuer. Es wird gegrillt oder die Feuerkörbe sind wieder im Einsatz - und das alles im dürren Kiefernforst. Es ist Sonntagabend, die Ferien gehen in Polen zu Ende, es ist Wehmut unterm Kieferndach und Endzeitstimmung. Morgen Abend wird es keinen Kampf mehr um die zwei warmen Duschen geben.
Gegen 20 Uhr sind wir wieder beim Franz. Jetzt bekommen auch die Hunde ihr Abendessen. Zur Verdauung wird der Becherowka ausgebechert, den wir in Ostróda gegen das Übelleiden der Reiseleiterin gekauft hatten, und wir gleiten etwas wehmütig, wie es uns die Bäume vorrascheln und -rauschen, in die letzte Urlaubswoche.
Schon um 22 Uhr geht das Licht aus. Nachts klimpert Regen auf unseren Franz.
Montag, 25. August 2014
Um 8:30 Uhr sind wir alle aus den Federn, und es zieht uns ohne Umschweife ans Wasser.
Stürmische Spiele am Strand von Kopalino Die
Anouk im Himmel am Meer Ostsee ist gehörig in Aufruhr heute Morgen. Ein aufgebrachter Wind treibt die Wolken wie eine panische Schafherde vor sich her und spielt Räuber und Gendarm mit der Sonne. Für Anouk gibt es kaum etwas Schöneres als diese markigen Windspiele, für sie ist das hier das schiere Glück, und Fianna bringt sowieso alles aus dem Häuschen, was ihre Frisur zerstört; sie droht durchzuknallen und legt sich wie ein Kite-Surfer auf die Böen. Wir sind aufgewühlt wie das Meer. In diesen Momenten fühlt man sich zurückgeworfen auf die Anfänge und spürt, dass wir alle einst aus dem Meer gestiegen sind. Nicht herab von den Bergen. Nicht heraus aus der Erde. Mutter Meer müsste es heißen, nicht Mutter Erde. Diese Mutter Meer ist es, die wir im Tosen der Brandung rufen hören, uns zu sich rufen hören. Ihr Rufen ist es, ihr manifestes Rufen und geduldiges Locken, das uns immer wieder zu ihr führt, ihr psychedelisches Singen, das unseren Weg aus ihr und zurück zu ihr begleitet; denn irgendwann, vielleicht an einem fernen Tag im Wonnemonat Mai, wird sie uns wieder in sich aufnehmen, wie sie alles hergibt und alles wieder zu sich nimmt. Ein Blick auf unsere alte Anouk verleiht diesem Kreislauf Namen und Gestalt und treibt uns Tränen in die Augen. Kaum vorstellbar, dass diese Anouk eines nicht mehr fernen Tages nicht mehr die Strände Europas durchstapfen soll! Sie ist so gut drauf und flitzt und flegelt wie ein Girlie - und hat auf ihrem Weg zurück ins Meer das Ziel schon fest im Blick.
Fianna im Laufrausch Aber auch die tiefsten Gedanken über den Lebensquell Meer bringen uns zwangsläufig zurück auf die Erde und den Boden der Realität, wenn der Magen seine Rechte einklagt. Da wird dann alles wieder sehr irdisch. Eingesponnen im silbrigen Kokon der Gedanken mag der Alltag allzu banal erscheinen, aber das Gespinst sättigt nicht. Wir versorgen uns also im Laden mit allem, was uns an diesem bewegten Morgen fürs Frühstück guttun sollte. Um 9:50 Uhr sind wir wieder zurück beim Franz.
Jetzt wird gefrühstückt und dann beginnen die ersten Aufräumarbeiten und Abreisevorbereitungen.
Kurz vor 11 Uhr kommt Hektik auf: Die Rezeption, so weiß die Reiseleiterin zu vermelden, ist nur bis 11 Uhr zum Bezahlen besetzt. Jetzt fliegen die Hände, der Elektryk-Track wird herbei gerufen, um uns reisefertig abzunabeln, und dann wird bezahlt: 2 x 49 zł müssen wir aus dem Portemonnaie auf den Tisch der Rezeption, die auch nur ein Bauwagen ist, zählen. Anschließend stellen wir an die Seite der Einfahrt und erledigen die Restarbeiten: Wasserlassen, Müll und Körperpflege.
Um 11:35 Uhr verlässt mit uns das letzte Wohnmobil das vereinsamte Rustikalum von Kopalino. Sogar der Himmel weint bei unserer Abreise. Unser Ziel ist Rowy, das westliche Tor zum slowinskischen Nationalpark.
Um 13:30 Uhr treffen wir in Rowy ein. Es regnet. Wir rollen auf einen Campingplatz, wo uns niemand erwartet und offenbar auch sonst niemand erwartet wird, jedenfalls ist das, was eine Rezeption zu sein scheint, unbesetzt. Also drehen wir eine Runde über den kleinen Platz, um uns einen Eindruck zu verschaffen - und fahren unverzüglich wieder auf und davon. Hier scheint die Brutstätte der Messis zu sein, nicht der Familie des barcelonischen Zauberers, sondern jener weltumspannenden Spezies der Müllverteiler und -anhäufer. Der Platz ist klein, aber keinesfalls fein; hier sieht es aus, wie bei Hempels hinterm Sofa. Bevor uns irgendjemand mit Charme zum Bleiben auffordern könnte, sind wir wieder draußen. Miserables Wetter, kein Ruhekissen für die Nacht: da meldet sich die Agame im Chauffeur wieder. In ihm steigt der Blutdruck umgekehrt proportional zur Meereshöhe. Man einigt sich, sozusagen als mediatorische Maßnahme, einen Kleineinkauf zu tätigen, um die Vorräte aufzufüllen und so möglicherweise die nächste Nacht in der polnischen Wildnis zu überstehen. Wo der zur Separation neigende Chauffeur nun einen kleinen Supermarkt zu finden hofft, indem er sich ungestört umsehen und einkaufen kann, findet er nur Skleps voller Eingeborener, die nur darauf warten, ihm den ganzen Laden andrehen zu wollen, weil er ihnen ausgeliefert ist; hier ist alles hinter der Ladentheke verschanzt, wie es auch bei uns früher üblich war, wo man der Ladenmatrone oder dem Ladenpatron seine Wünsche mitteilte und erfüllt bekam. Der umerzogene Einkäufer weiß aber heutzutage nicht mehr, was er will, sondern muss sehen, was es gibt, um zu wissen, was er will. Es ist keine Frage: Schlechte Laune und veraltete Sitten fördern die Entfremdung zwischen Nachbarn. Es gibt keinen befriedigenden Ausweg aus dieser kleinen polnischen Vorhölle für den Chauffeur, nur mieses Pisswetter, zu Campingplätzen umetikettierte Schrottplätze und Einzelhandels-Suks mit lauernden Räuberbanden. Der Chauffeur ist in einer brandgefährlichen Stimmung, noch unterirdischer als auf der Baustellenprozession! Er will weg, und zwar sofort und nonstop bis nach Hause. Auf die Erkundung des Nationalparks braucht man sich bei diesem Wetter sowieso keine Hoffnung mehr zu machen. Die nächste vernünftige Campingadresse ist nochmal 100 km weiter. Das macht keinen Sinn. Was sollen wir noch hier? Die Reiseleiterin bittet um Aufschub und berät sich mit ihren Reiseführern. Mit angespannten Gesichtsmuskeln, aber planmäßig gesenkter Stimme erwirkt sie dann nochmal einen Aufschub und das Einverständnis, vielleicht noch den Campingplatz Przymorze (Nr. 156) in der ul. Baltycka 6 aufzusuchen, weil der ja wirklich gleich um die Ecke liegen müsse, sich gut mache, was da zu lesen sei und es auf den kleinen Aufschub jetzt auch nicht mehr ankäme. Der Chauffeur stimmt knurrend und Lenkrad kurbelnd zu und das listige Weib hat unverdientes Glück. Nach zwei Minuten und insgesamt 95 Kilometern rollen wir um 14:15 Uhr auf einen großen, fast leeren Platz [N 54° 39‘ 34‘‘; E 17° 02‘ 56‘‘], der nicht nur einen sehr aufgeräumten, sondern auch mindestens so professionellen Eindruck macht. Hier werden wir erstmals in Polen in fast perfektem Englisch angesprochen; hier scheint nicht nur der Platz, sondern auch das Hirn in jeder Hinsicht aufgeräumt zu sein.
Der Campingplatz in Rowy Zum Platz gehören großzügige und saubere Sanitäranlagen und ein Laden, wo wir uns nun frei von lauernden Verkaufsgenies eindecken können. Das Aprilwetter mit Sonne, Regen und schweren Wolken bleibt uns allerdings auch hier treu. Allerdings können wir um halb vier eine Wolkenlücke nutzen und uns auf einer der Holztischgarnituren einen Platz trocken rubbeln und uns den Tag mit einem schönen Kaffee und einem Mordsstück Mohn-Nuss-Kuchen aus dem Laden versüßen. Der Chauffeur strahlt auch schon wieder mit der gelegentlich vorwitzig hervorspitzenden Sonne um die Wette und ist schon wieder überzeugt, dass das Zigeunerleben doch ziemlich lustig sei (ooops: Sinti-und-Roma-Leben natürlich, verzeih…).
Um 17 Uhr ist dann der Himmel schon wieder überwiegend blau bei 15° C, und die Wetterprognose für morgen sieht für eine Erkundung des Nationalparks gar nicht mal so schlecht aus, was nicht selbstverständlich ist, wenn sich eine gigantische Regenwalze über ganz Europa wälzt. Das warten wir ganz entspannt ab.
Jetzt beschließt die Reiseleiterin, die sich gelegentlich an ihren Nebenjob als Hundedompteuse erinnert, dem Nachwuchs eine Fährte auf dem Campingplatz zu legen, und zwar eine ordentlich lange. Was Fianna schließlich absuchen muss, ist eine Hardcore-Fährte auf zwar nassem, aber sandigem Untergrund mit kaum Bewuchs. Dazu kommen erschwerend zwei Querungen von jeweils zwei Meter breiten Pflasterwegen. Was die Fährtenlegerin beim Legen aber nicht wusste, sondern erst direkt danach sah, ist, dass sie den Winkel für die zweite Pflasterquerung genau auf einen Prozessionspfad zwischen einem Zelt und einem Mobile Home legte, wo Camper eifrig damit beschäftigt sind, ihre Habseligkeiten vom Zelt in die Hütte zu verlagern, hin und her, hin und her, immer über den Winkel. Schwerer geht es kaum, doch der Zwerg meistert diese Zumutung hechelnd und pumpend, aber eigentlich, ohne mit der Wimper zu zucken. Was ist sie stolz, die Dompteuse, und vor allem dankbar, dass ihr der Nachwuchs den missratenen Fährtenverlauf nicht übel nimmt! So ein Missgeschick kann ja schon mal die Arbeit von Wochen zur Makulatur machen. Nun aber sind alle glücklich und Fianna ihrer überschüssigen Energie ledig.
Strandläufer Um 18 Uhr spazieren wir zum Strand hinüber und am Strand entlang, ein Spaziergang, der uns allen richtig guttut, aber vor allem deshalb in Erinnerung bleiben wird, weil wir uns nicht sicher sind, ob wir ihn nicht mit drei Hunden beenden würden. Kaum treten wir nämlich aus dem Platz in das Waldstück zum Strand hinüber, begrüßt uns schon freudig ein Labrador mit einem Riesenstock und will fortan nicht mehr von uns lassen. Dazugehöriges Menschenpersonal ist nicht erkennbar, aber der fröhliche Jüngling tut so, als seien wir die Seinen. Anouks gelegentliche Zurückweisungen kompensiert er ungerührt mit Fiannas Anbiedereien. Erst als wir uns, schon fast wieder im Ort, bereits mit der Frage beschäftigen, welchen Platz im Franz wir ihm wohl anbieten sollten, ist er genauso gespenstig verschwunden, wie er gekommen war. Bestimmt treibt er nun neuen Opfern den Schweiß auf die Stirn. Durch die kleine, höchst touristische Ortschaft, die nichts hat, was man erwähnen müsste, kehren wir um 19:30 Uhr zurück zum Franz, zu viert, wie wir gegangen waren und mit einer supertapfer stapfenden Anouk – eineinhalb Stunden ist für eine Greisin eine noch größere Herausforderung als Fiannas Horrorfährte. Wir nehmen sie kräftig in die Arme und versprechen ihr eine Sonderration, Ja, ja, nun macht mal nicht so…
Wir bereiten Spaghetti mit Tomatensoße und zweierlei Speck. Kraftnahrung eben, weil eine nicht unerhebliche Menge davon an Anouk gehen muss, die sich nicht bitten lässt. Dafür bittet Fianna um Gleichbehandlung, die wir ihr nicht abschlagen können. Satt werden wir dennoch alle.
Jetzt haben sich auch die himmlischen wie die atmosphärischen Wolken komplett verzogen, es ist eitel Mondschein über Rowy bei 12°. Und das Meer schlägt von Ferne schwer auf den Strand.
Um 22:45 Uhr ist Zapfenstreich. Aber nachts werden wir immer wieder von so heftigem Regen aus dem Schlaf getrommelt, dass wir glauben, er durchschlägt den Franz. Ob das morgen was wird mit dem Nationalpark?
Dienstag, 26. August 2014
Um 9 Uhr erheben wir uns aus einer unruhigen Nacht. Der Regen will sich noch immer nicht mit dem Erreichten begnügen.
Um 9:30 Uhr wandern wir wieder hinüber zum Strand und über die Dünen zurück. Eine Stunde und 15 Minuten mit einer fliegenden Fianna und einer glückstriefenden Anouk. Das Urlaubskind, die schaumgeborene Anuschka. Unermüdlich stemmt sie sich dem Wind, dem Meer und ihrem nahen Ende entgegen. Unbeeindruckt schleppt sie ihre schweren Knochen durch den Sand und das Dünengras, die Vernunft verachtend, der Niedertracht des Verfalls trotzend. Es ist, als ob ihr das Meer neues Leben in die Adern spülte, ihr dickes, altes Blut durch Champagner ersetzte. Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf dein‘ Fuß – und wenn man genau hinsieht, ist es die schwerelose Anouk. Kein Berg könnte sie zu einer solchen Leichtigkeit inspirieren, er würde sie stürzen lassen, nicht fliegen. Die Kraft der Berge ist eine schwerblütige, die des Meeres eine schwerelose. Im Bergesinneren residieren verlebte und missmutige Gottheiten, die der Welt überdrüssig sind und deren die Welt überdrüssig ist. Das Meer schickt Nixen hinaus in die Welt, um sie zu tragen und zu stützen, wenn sie sich selbst zu schwer und unerträglich wird. Das Meer zerstört und gibt der Erde an jedem neuen Tag ein neues Gesicht. Die alte Götterbande furzt derweil im finsteren Berge müde vor sich hin und stirbt am eigenen Gestank. Das ist nicht die Luft, von der man getragen werden möchte und getragen werden kann. Und steckt nicht im beglückenden Gefühl auf einem Berggipfel, in jenem Blick über scheinbar endlose Ketten und Zacken, die an guten Tagen vielleicht noch von der Sonne malerisch beleuchtet und verklärt werden, nichts anderes als die Sehnsucht, bis ans Meer blicken zu können? Hier am polnischen Strand befällt uns keine Sehnsucht, bis an die Alpen und zum Himalaya blicken zu wollen. Unser Blick geht weit hinaus und tief hinein, und wohin wir schauen, fliegt eine Anuschka vorbei.
Nachdem wir unseren Freisitz trockengelegt haben, genießen wir um 11:15 Uhr ein üppiges Frühstück. Dazu wirft ein fast makelloser Himmel mit kleinen weißen Wattebäuschchen um sich. Und wir registrieren schon vielversprechende 19° C.
Radwanderung im Slowinskischen Nationalpark Um
Kleines Päuschen gefällig? 13 Uhr satteln wir die Fahrräder, statten Anouk mit allen Rechten aus, unseren Franz mit Zähnen und Klauen zu verteidigen (was nur zu ihrer Motivation geschieht, nicht, weil wir das hier für nötig befänden) und starten zur Tour in den Nationalpark. Wir finden sehr stille und versunkene Orte und vieles, das man überall antreffen kann. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, ist man, sofern man sich an die Spielregeln hält, auf die ausgewiesenen Wege angewiesen, und dort stolpert man nur selten über die Besonderheiten, die man im Fernsehen zu sehen bekommt, wenn Fernsehteams mit Sondererlaubnis an Plätze geführt werden, von wo jeder sterbliche Tourist mit Fug und Recht verjagt würde. Und dennoch genießen wir die Fahrt und die Ein- und Ausblicke. Bis zur viel beschriebenen 31 Meter hohen Düne Błotna Gόra schaffen wir es nicht; das hätte sich am Ende auf weit über 40 Kilometer summiert, über schweren Sand und krummen und buckligen Waldboden. Das wäre letztlich auch für Fianna zu viel, die allerdings wie ein Uhrwerk neben uns her treidelt und auch vor langen Sprints mit über 13 km/h nicht kapituliert. Die Kleine ist wirklich sensationell gut drauf und nicht umzubringen. Am Ende, als wir gegen viertel nach vier wieder zurück sind und es doch wieder ein bisschen zu regnen begonnen hatte, nehmen wir von unserem Navi 27 Kilometer zu Protokoll. Dass die 40 Kilometer zur Düne und zurück letztlich nicht an Fianna gescheitert wären, bestätigt die Reiseleiterin mit einem geradezu historischen Satz: „Nie wieder steig‘ ich auf ein Fahrrad – tut mir der Arsch weh!“
Es ist anzunehmen, dass Kaffee und Kuchen nur dem seelischen Wohlbefinden dienlich waren, dem waidwunden Arsch werden sie kaum Linderung verschafft haben. Der Himmel lacht uns wieder weiß-blau, die Luft ist frisch, aber angenehm. Wir lesen, dösen und betreiben Körperpflege.
Schläfrige Touristenmeile Um
Hansekogge oder die letzten Wikinger? 19 Uhr machen wir uns zu Fuß in den Ort auf, um unsere Nährstoffzellen zu füllen, schließlich hatten wir heute ordentlich Raubbau getrieben. Leider ist die Gastronomiekultur in Polen generell und in Touristenorten besonders gewöhnungsbedürftig. Restaurants in unserem Sinne sind hier eher selten. Die Polen beginnen ihren Tag gewöhnlich sehr früh und kommen demnach sehr früh von der Arbeit zurück. Die Hauptmahlzeit gibt es somit schon meist um 16 oder 17 Uhr. Abends zum Essen zu gehen, ist hier nicht üblich, höchstens auf einen Kaffee mit Kuchen, was auch in feinen Restaurants nicht anstößig ist. In Tourismusgebieten belastet man sich dementsprechend noch weniger mit einer Gastronomie in unserem Sinne. Hier gibt es Schnellimbissbuden und Selbstbedienungsrestaurants, das spart Personalkosten und erhöht den Durchsatz. Wenn nun die Saison auch noch zu Ende geht, verstärkt sich der lieblose Eindruck, der von dieser Gastronomie ausgeht, weil tote Touristenorte noch schwerer zu ertragen sind, als lebendige: Volle Touristenorte sind eine Plage und leere eine Pein. Mit Brettern verschlagene Buden, leer vor sich hin kreiselnde Karussells, in Ketten gelegte Fahrradarmadas, verlassen herum liegende Tret-Enten und –Elefanten, Spielbuden, in die selbst musikalische Gewalt keinen Spieler mehr lockt, das einzige, was noch Anklang zu finden scheint, sind Gofri-Buden, weil die Polen offenbar richtige Leckermäuler sind. Wir durchwandern den Ort, rauf und runter, hin und her, über kreuz und über quer, immer in der Hoffnung ein seltenes und sorgsam verstecktes gastronomisches Juwel zu finden, aber wir scheitern und ergeben uns unserem Schicksal. Am Hafen entscheiden wir uns für das uns am wenigsten lieblos erscheinende Fischlokal, Selbstbedienung selbstredend. Zander mit Bratkartoffel und Heilbutt mit Pommes ordern wir, dazu ein Bier und eine Berliner Weiße. Es schmeckt nach gebackenem Fisch und ist zu schnell kalt. 90 zł werden dafür fällig. Wir haben bisher nicht über Polen zu klagen und wir fühlen uns hier wohl, aber gelegentlich, zu Essenszeiten, würden wir uns gerne für zwei oder drei Stunden nach Frankreich beamen können. Beam me over, Scotty.
Um 20:45 Uhr sind wir ziemlich satt, aber einigermaßen ernüchtert zurück. Man hat ja gelegentlich eine Art Sehnsucht nach kosmischer Gerechtigkeit und die setzte uns eben heute den Floh in den Kopf, dass unsere radlerischen Aufwendungen kulinarisch belohnt werden müssten. Aber so kann man sich täuschen; es gibt keine Gerechtigkeit, schon gar keine, die man sich selbst zusammenträumt. Was das Träumen angeht, ist auch Fianna nun gut im Geschäft: Die 27 Kilometer über Wald- und Sandböden, die bei ihrem Bewegungsmuster mindestens 30 Kilometer waren, lassen sie nun doch einigermaßen zufrieden in sich und neben uns ruhen.
Als der Chauffeur die morgige Weiterreise vor dem geistigen Auge Revue passieren lässt, geht die Reiseleiterin das Tagesgeschirr spülen (manchmal, wenn auch selten, sind sogar beim Blues die gesellschaftlichen Konventionen noch intakt) und kommt heiter erregt, aber ziemlich schnellen Fußes von dort zurück: „Wir haben eine Wildsau auf dem Platz!“ Da gibt es natürlich kein Halten mehr, die Sau muss in Augenschein genommen werden. Wir packen die Hunde in den Franz und gehen los – und tatsächlich streift am Zaun des Campingplatzes ein Schwarzkittel auf der Suche nach Verwertbarem herum. Der Eindringling lässt sich von uns weder irritieren noch aus der Ruhe bringen und setzt seinen Streifzug über den Campingplatz fort. Nun erwacht in der Reiseleiterin ihr kosmopolitisches Kommunikationsgen, sie eilt zu der ein paar Meter neben uns aufgebauten Wagenburg dreier polnischer Familien, die sich im Schutz ihrer Caravans den Wodka und den Cytronowka schmecken lassen, und teilt ihnen mit, dass sich auf dem Gelände ein Wildschwein befände. In der Aufregung sagt sie „Wild Pig“, was dem Chauffeur die Haare zu Berge treibt, aber reicht, dass die Polen sofort wissen, was gemeint ist. Allerdings wollen sie es nicht wirklich glauben und zweifeln an der Seriosität der Reiseleiterin. Sicherheitshalber nehmen sie sich aber doch ihren King-Charles-Terrier zur Brust, damit er nicht das Ende der wildsäuischen Nahrungskette bilde. Und dann machen sie sich mit uns auf die Streife nach der Sau und freuen sich wie die Kinder, als sie in Sicht kommt. Und schon haben wir polnische Freunde, was wir nicht hätten, wenn nur der Chauffeur der Wildsau ansichtig geworden wäre, weil der im Leben nicht auf die Idee käme, Wildsaualarm zu geben, weil so eine Wildsau, mit Nahrungssuche beschäftigt, seiner Meinung nach anderes im Sinn hat als Touristen anzugreifen. Die macht das heute nicht zum ersten Mal und scheint höchst erfahren zu sein. Also lass sie doch herumlaufen, die Sau und die Polen ihren Wodka stressfrei runter spülen. So denkt der Chauffeur, gestählt von früheren wirklich wilden Wildschweinbegegnungen. Nicht so denkt die Reiseleiterin und macht sich deshalb um die Völkerfreundschaft und die gute Laune auf dem Campingplatz verdient. Aber wenn sie anders wäre, wäre sie ja Chauffeur geworden…
Die Sau verschwindet im Dunkel des Platzes und um 22 Uhr verschwinden wir im Bett. Nur die Polen, die einzig verbliebenen Nachbarn, feiern noch weiter, wahrscheinlich mit ihrem King-Charles am Herzen und reichlich Becherowka im Bauch. Kommt „bechern“ eigentlich von Becherowka oder anders rum?
Mittwoch, 27. August 2014
Um 8 Uhr beginnt unser neuer Tag mit ansprechendem Wetter und einer nicht mehr ganz so ausgedehnten Hunderunde. Sie hatten wirklich genug Bewegung und uns drängt es fort.
Um 9 Uhr teilen wir unser Frühstück mit einer Armada von Wespen, die offensichtlich nur darauf gewartet haben, dass ihnen die Flugbereitschaft wieder grünes Licht gibt und sie uns den Honig vom Brot sowie Schinken und Kuchen wegfressen können. Sie nutzen augenscheinlich jede sich bietende Gelegenheit, weil der freundliche Himmel sich schon wieder etwas zugezogen, die Sonne aber noch nicht gänzlich kapituliert hat.
>Um 10 Uhr fahren wir mit den Rädern in den Ort zum Supermarkt Meduza und befüllen unsere Vorräte. Anschließend wird der Franz fahrbereit gemacht, wobei wir die Toilette nicht leeren können, weil der viele Regen das Grundwasser so ansteigen ließ, dass die gesamte Entsorgung bis zu Rand mit Wasser gefüllt ist und ein Überlaufen droht.
Um 11:45 Uhr ist Abfahrt. An der Rezeption sitzt die gesamte Mannschaft einschließlich unserer polnischen Nachbarn und gucken Video. Wild Pig Video! Die Polen haben natürlich gepetzt und so wurden die Überwachungsvideos abgespielt. Nun können auch wir die nächtliche Wanderschaft unserer wilden Sau (oder des Ebers) noch einmal verfolgen und hoffen, dass die Sau schlau genug ist, sich so schnell nicht wieder blicken zu lassen, denn die Platzautorität lässt keinen Zweifel daran, dass die Tage der Sau gezählt sind, wenn die Polen heute oder morgen abreisen und die Saison beendet ist. Peng! Vielleicht gibt es dann in Rowy mal etwas anderes als gebackenen Fisch. Arme Sau.
Und was bleibt sonst von Rowy in Erinnerung? Nichts, was uns wieder hierher führen müsste. Eigentlich wollten wir ja Łeba auf der Ostseite des Nationalparks ansteuern, um den slowinskischen Nationalpark zu erkunden, scheuten aber vor dem dort zu erwarteten Touristenandrang zurück. Ob wir dort besser aufgehoben gewesen wären, wissen wir nicht (können es aber irgendwann noch einmal ausprobieren), sicher hätten wir es von dort aus allerdings zur Großen Düne geschafft. Ob das Essen erinnerungswürdiger gewesen wäre, ziehen wir in Zweifel.
Westwärts brummt der Franz. In Słupsk (Stolp) gönnen wir ihm einen vollen Tank und stellen in der Folge fest, dass man den Tag in Polen nicht vor dem Ende der Ausbaustrecke loben soll.
Um 12:45 Uhr machen wir eine Vollbremsung, weil wir am Straßenrand eine Händlerin mit Pfifferlingen entdecken und spontan beschließen, dass es heute Abend Pfifferlinge mit Semmelknödel geben soll. Genug Backfisch! Für einen Korb mit 500 g Pfifferlingen zahlen wir 10 zł, dazu gibt es noch 500 g Heidelbeeren zum gleichen Preis und ein Glas Buchweizenhonig für 20 zł. Wir freuen uns auf die Schwammerl, auch wenn der gesundheitsbewegte Leser sogleich in eine Entsetzensstarre verfallen dürfte, Tschernobyl buchstabiert und memoriert und warnt, dass polnische Pilze immer noch voller Cäsium, Strontium, Plutonium, Gummi Arabicum und Dideldeididumm seien. Da wir nicht wissen, was uns der bayerische, deutsche und europäische Nährstand, ganz abgesehen von all den anderen Giftmischern, täglich auf den Teller zaubert, kontern wir: Es ist uns wurscht, wieviel Dideldeididumm in einem polnischen Pfifferling steckt, weil wir ihn nur äußerst selten genießen, im Gegensatz zum salmonellenseligen Bayern Ei, von dem wir noch nicht einmal wissen, wo es überall drinsteckt. Und wenn wir gemeinsam strahlen, bringt das noch etwas mehr Glanz in unsere Hütte.
Campingplatz Wiking Um 16:40 Uhr sind wir in Dziwnówek und fahren zum Camping Wiking [Nr. 224, N 54° 02‘ 05‘‘; E 14° 47‘ 56‘‘]. Hinter uns liegen knappe 200 Kilometer. Erster Eindruck: Wow! Zweiter Eindruck: Geil! Dritter Eindruck: Purer Luxus. Kurz: Der beste Platz für das Ende unserer Polenfahrt. Allerdings ist er ziemlich fest in deutscher Hand.
Der Fernsehraum von Camping Wiking
Sanitäranlagen von Camping Wiking Himmel hat inzwischen komplett blank gezogen und verbreitet kuschelige 24° C. Und das Meer lockt durch die Bäume herüber. Wir bestaunen Sanitäranlagen aus Marmor mit ständig frischen Blumengestecken und leider einer völlig verzichtbaren Panflötendudelei aus den Lautsprechern. Diese Sanitäranlagen stehen ständig unter Bewachung; da liegt kein Papierfitzelchen herum, da verschwindet jedes daneben gespritzte Tröpfchen umgehend und diskret, wobei das “diskret“ das Auffälligste ist. Man fühlt sich nicht verfolgt oder gar auf dem Heiligen Schrein beobachtet, aber irgendwo feudelt immer ein dienstbarer Geist herum. Es gibt einen eigenen Fernsehraum, Aufenthaltsräume in Landhausromantik, eine Küche mit einem extra Spülstein, nur um Fische auszunehmen und zu putzen. Eine Hundedusche fehlt natürlich auch nicht, und für die Zeltler gibt es sogar eine eigene Handy-Ladestation. Vermutlich gibt es keinen Landfahrerwunsch, der hier nicht erfüllt würde.
The Making of: Rahm-Pfifferlinge mit Knödel Zuerst bereiten wir unser Abendmahl vor, putzen die Pfifferlinge (der Chauffeur), schneiden Zwiebeln, Petersilie und Semmeln für die Knödel (der Chauffeur), reiben die Zitrone für die Knödel (der Chauffeur) und setzen die Milch aufs Feuer (die Reiseleiterin). Das tut sie gleich dreimal, weil ihr die Milch zweimal überläuft. Und weil sie deshalb so viel zu putzen hat, hat der Chauffeur alle Muse der Welt, Pilze zu putzen du zu schnibbeln, Semmeln, Petersilie und Zwiebeln zu schneiden und eine Zitrone abzureiben. Diese Arbeitsteilung ist fast perfekt: der Chauffeur putzt Pilze, die Reiseleiterin den Franz. Die Laune der Reiseleiterin ist laut, die des Chauffeurs in sich gekehrt. Alles wie immer.
Abendspaziergang am Strand Um 18:30 Uhr lassen wir die Semmeln in der nun ordnungsgemäß erhitzten Milch weichen und machen dem Strand unsere Aufwartung. Es sind wieder nur ein paar Meter, weil wir natürlich die Campingplätze so aussuchen, dass unsere Anouk ohne viele Umwege in ihr Glücks-Habitat kommt.
Um 19:20 Uhr sind wir äußerst zufrieden und entspannt wieder zurück, bereiten die Pfifferlinge und die Knödel zu, geben die Knödel in den Topf und die Pfifferlinge in die Pfanne und um 20:30 Uhr gibt es die besten Rahmpfifferlinge mit Knödel, die es jemals unter einem polnischen Kieferndach gegeben hat. Einen weißen Wein dazu, Blaue Stunde auch ein wenig polnisches Bier, einen oder zwei Cytronowka – wie wenig bedarf es für einen glückseligen Abend. Dangling conversation und um 22:30 Uhr sind wir uns einig, dass aus diesem Tag nicht mehr herauszuholen ist.
Donnerstag, 28. August 2014
Der Tag beginnt um 7:30 Uhr, indem die Reiseleiterin mit den Hunden zum Strand wandert und der Chauffeur im Wiking-Laden Frühstück besorgt und bereitet. Dann wird der Franz wieder einmal einer gründlichen Reinigung unterzogen, was ihm gut steht.
Um 9 Uhr genießen wir unser Frühstück unter einem frühlingsfrischen, aber angenehmen wolkenlosen Himmel.
Dann brechen wir um 11:45 Uhr, nur mit Fianna, zu einer Ortsbesichtigung von Dziwnówek auf. Dabei haben wir wenig Hoffnung, auf städtebauliche Hochkultur oder andere Segnungen, die einem Touristen im Gedächtnis haften bleiben. In der Tat bleibt wieder nur die Erkenntnis, die allerdings eine sehr erfreuliche ist, dass es den Polen wirklich gut zu gehen scheint, dass sie einigermaßen wohlhabend geworden sind. Die Neubauten zeugen von einem beträchtlichen Stolz, nicht selten ausgedrückt durch einen architektonischen Schwulst, der vom Wohlstand des Eigentümers künden soll wie einst der geblähte Ranzen vom Reichtum des Bauern. Mehr gibt der Ort nicht her: ein paar Hotels, Verkaufsstände, Selbstbedienungsrestaurants… Was jedoch bis heute nachwirkt, ist die sehr unfreundliche Verkäuferin in einer Bäckerei, wo wir uns mit Kuchen eindecken. Sie ist die erste und einzige Polin, der wir etwas anderes als freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit attestieren müssen. Schade, aber das bleibt leider hängen, wie immer die negative Meldung besonders schwer wiegt. Und ein fauler Apfel kann den ganzen Fruchtkorb in Verruf bringen. Nicht bei uns; wir registrieren es erstaunt und vergessen es nicht, erzählen aber der ganzen Welt: Die Polen sind ein außerordentlich liebenswertes und gastfreundliches Volk. Gegen Ausnahmen können auch sie sich kaum wehren.
Nach einer Stunde sind wir wieder zurück, und verdösen unseren letzten Urlaubstag unter einer beschatteten pommerschen Sonne.
Fianna auf den Dünen von Dziwnówek Gegen 16 Uhr unternimmt die Reiseleiterin einen längeren Spaziergang mit Fianna, was die beiden anderen Herrschaften des Reisetrupps nicht aus ihrer Ruheposition bewegen kann: Lasst sie doch gehen, der Schritte sind genug getan.
Grillabend Als sie um 17:15 Uhr wieder zurückkommen, bringen sie Lachs und Würste mit, mit denen sie die Zurückgebliebenen offenbar für ihre Trägheit belohnen wollen. Die freuen sich und bringen schon mal die Grillausrüstung in Stellung.
Um 18:30 Uhr umweht dann duftiger Lachs- und Schweineduft den Franz und seine Bewohner.
Anouk nimmt Abschied von der Ostsee
Fianna schüttelt die schweren Gedanken ab Dann allerdings, gegen halb acht, verweigern auch die beiden Faulenzer den letzten Strandspaziergang nicht mehr; die grillgeschwollene Plauze verlangt nach Lockerung. Wir schlendern den Strand entlang, den sandverwöhnten, tanken Meer und vertrauen ihm uns an. Auffällig lang sinniert die altersgrüblerische Anouk auf jenes Meer hinaus, das 2002 in Dänemark das erste war, in dessen salzige Fluten sie sich mit jugendlichem Feuereifer stürzte. Ob sie wohl ahnt, dass es nun Abschied nehmen heißt?
Nach einer guten Stunde, gegen 20:30 Uhr sind wir wieder zurück und sitzen mit Wein und Wehmut im Herzen unter den Bäumen Pommerns, dessen Sterne uns aufmunternd zuzwinkern. Es ist kein Ende im Ende, sagen sie uns. Es ist der Anfang vom morgen. Wenn’s halt so einfach wäre…
Um 22 Uhr erwärmen uns auch die warmen Worte der polnischen Sterne nicht mehr; es ist frisch geworden unter dem blanken Himmel, der heute extra für uns keiner einzigen Wolke Ausgang gegeben hat. Alle mussten sie in ihrem Depot bleiben und warten, bis wir weg sind. Nicht nur die Menschen in Polen sind herzlich und liebenswert.
Freitag, 29. August 2014
Um 7 Uhr trommelt uns der Wecker aus der Koje. Eine Viertelstunde später sind wir schon auf einen kurzen Strandspaziergang, der nicht der Kontemplation, sondern der Erweckung der Lebensgeister und der Morgenhygiene der Hunde dienen soll. Was diese angeht, müssen wir die Polen richtig loben: sie sind penible Häufchensammler, hier liegt nichts herum, wie die Strände überhaupt allesamt (soweit wir das beurteilen können) ausgesprochen sauber sind. Was die Erweckung der Lebensgeister betrifft, könnte nichts wirkungsvoller sein, als barfuß im eiskalten Morgensand zu spazieren; es hat gerade mal 10° C und uns frieren fast die Füße ins Geläuf. Gern ziehen wir unsere Latschen wieder an. Aber es sind zu dieser Zeit schon überall eifrig Walker, Jogger und Dogger unterwegs, was den Franzosen eher kaum einfallen würde. Die liegen um diese Zeit noch gerne in ihrem Bett, wie es auch die träg in ihrer Wanne liegende Ostsee tut und der Chauffeur auch gerne täte. Aber die Pflicht und die Heimat ruft.
Um 8 Uhr sind wir zurück, machen uns und den Franz reisefertig, frühstücken auf die Faust und zahlen 46 zł für die zwei Nächte, 10% ACSI-Rabatt inklusive. Allerdings ist hier bei den Wikingern nur Bares Wahres, Karte nehmen sie nicht. Na gut, so viel haben wir noch, daran soll‘s nicht scheitern, dass wir vielleicht noch abends in die Fischküche müssen, um den anderen die Fische zu schuppen.
Um 9:45 Uhr sind wir auf dem Weg.
Um 14:45 Uhr nötigt uns Anouk eine Zwangspause auf dem Rastplatz Dresdener Tor ab, weil sie uns ins Womo scheißt. Protest? Verzweiflung? Oder einfach nur Altersinkontinenz? Egal, es gibt Schöneres am Ende einer Reise, als Dünnschiss aus den Ritzen zu fummeln.
Um 15:15 Uhr sind wir dann in Choren bei Dresden und speisen mit anderen Hundenärrischen im Gasthof Augustusberg in Nossen. Bodenständige, aber empfehlenswerte sächsische Küche schiebt sich hier als Vermittler zwischen die polnische Panierküche und die heimische bayerisch-italienische Hybridküche.
Samstag, 30. August 2014
Um 6:15 Uhr weckt uns Regen, der jedoch bald dicken Wolken Platz macht. Das freut uns, denn heute soll Fianna in Nossen ihre Zuchttauglichkeitsprüfung (ZTP) ablegen und da ist heißes Wetter nicht so erwünscht. Und wie die Kleine dann souverän und ohne Wackler ihre Richter beeindruckt, treibt uns fast die Tränen in die Augen. Der Chauffeur leistet ihr Abbitte wegen der Zweifel, die er an ihr aufkommen ließ, als sie auf dem nächtlichen Steg in Wysoka aus Verzweiflung vor den springenden Fischen fast ins Wasser gegangen wäre. Die Reiseleiterin und Hundedompteuse hingegen schwebt mit mehr als der üblich geschwellten Brust umher, auch weil sie vor Stolz fast platzt und nie an Fiannas inneren Werten gezweifelt hatte.
Den Abend verbringen wir in Dessau, weil es dort den runden Geburtstag einer Freundin zu feiern gilt. Und heute gibt es ja wirklich Grund genug zu feiern. Schön war’s, Ellen und ein schöner Abschluss einer zauberhaften Polenfahrt.
Sonntag, 30. August 2014
Um 9:25 Uhr verlassen wir Dessau. Gefrühstückt wird bei McDonalds in Weißenfels, weil wir keine Lust und keine Muße haben, unnötig Zeit zu verplempern.
Dass das eine gute Idee ist, merken wir schnell. Weil die A 9 an Totalverstopfung leidet (anders als Anouk gestern), müssen wir uns über die A 73 und A 93 über Regensburg und Landshut dem heimatlichen Nest nähern. Dann ist auch noch das Kreuz Neufahrn verstopft und wir hangeln uns durchs Hinterland. Und je weiter südlich wir kommen, desto mehr versinken wir im Regen. Am Ende, als wir uns dem Mangfalltal nähern, schüttet es so, dass der Chauffeur darauf besteht, als Kaleun (zivildeutsch: Kapitänleutnant) angesprochen zu werden.
Um 17:50 Uhr, nach achteinhalb Stunden, machen wir dann endlich am Blues-Kai fest. Rund 3390 Kilometer, beziehungsweise 1830 Seemeilen liegen hinter uns.
Nachrede
Wir haben, mal abgesehen von einigen Gemeinheiten in Sachen Straßenbau und –zustand eigentlich keine Minute in Polen bereut. Bezüglich des Straßenzustands haben wir uns während der Reise vorgenommen, vielleicht in zehn Jahren wieder einmal vorbeizuschauen, wenn auch die letzten Reste der Vergangenheit saniert sind, weil wir einige der polnischen Straßen unserem Franz nicht mehr zumuten wollen. Jetzt denken wir schon wieder anders darüber, weil in Polen in einem geradezu atemberaubenden Tempo saniert und neu gebaut wird. Augenblicklich muss man mit drei Straßentypen rechnen: die nagelneuen Wohlfühlstraßen, die täglich um einige Kilometer mehr werden, die alten, die zwar erbärmlich sind und jeden Reisespaß verderben, aber dahin schmelzen wie Bernstein unterm Feuerzeug und dann die kilometerlangen Baustellen, die fast noch schlimmer sind als die Buckelpisten, aber immerhin für die nahe Zukunft ein neues Fahrgefühl versprechen. Vielleicht sollten wir doch sehr bald ausprobieren, wie weit es die Polen schon gebracht haben… Lust hätten wir schon wieder.
Für eine kulinarische Entdeckungsreise ist Polen nicht unbedingt zu empfehlen, aber was man bekommt, ist reelle und sehr günstige Hausmannskost, wobei die vor allem die an der Ostsee verbreitete Selbstbedienungsgastronomie der Sehnsucht nach Ambiente mehr Nahrung gibt als der gebackene und gegrillte Fisch dem Leib.
Falls es noch immer Mitbürger geben sollte, die das Wort Polen als Synonym für Autodiebstahl begreifen, wird es Zeit, sich auf die Reise zu machen und sich selbst umzusehen: Hier muss niemand mehr deutsche Autos klauen, hier fahren mehr Luxusgefährte herum als in den meisten deutschen Provinzen; den Polen geht es nämlich im Bevölkerungsdurchschnitt richtig gut. Und darüber konnten wir uns mit den Polen richtig freuen, weil die Entscheidung, den Złoty zu behalten, den Polen jene Währungsvorteile verschafft, die die Griechen (und andere Euro-Länder) glaubten, aus dem Subventionstopf ausgleichen zu können. Wie schon einmal erwähnt: die Polen haben nicht nur die allgegenwärtige Maria und den omnipräsenten Wojtyła, sondern vor allem eine Menge Hirn in der Büchse, worum man sie auch getrost mal beneiden darf.
Unsere komplette Polenreise 2014
Wir ließen uns auf dieser Reise von zwei Reisebegleitern beraten:
H. Breidenbach / A. Breidenbach, „Mit dem Wohnmobil nach Polen, Teil 1, DerNorden“, Band 61 aus der WOMO Reihe, ein Reiseführer, der im Gegensatz zu manch anderen aus dieser Reihe wirklich sehr empfehlenswerte Tipps bereithält und dem die im Text angegebenen Nummern der Camping- und Stellplätze entnommen sind.
Vertiefende Informationen über Land und Leute haben wir dem Buch „Polen, Ostseeküste und Masuren“ aus der Reihe Reise Know-How von Kristine Jaath entnommen und es nicht bereut.
P.S.: Zum Schluss besteht der Chauffeur noch auf den Hinweis, dass die schmerzlich vermissten Sandrampen inzwischen gekauft sind, aus Kunststoff zwar, aber nun für unsere Zwecke verfügbar (die Sahara werden wir unserem Franz ja wirklich nicht antun), damit er nicht wieder eine schlaflose Nacht im tiefen Forst verbringen muss. Ein ruhiges Gewissen ist bekanntlich ein sanftes Ruhekissen.