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Fahrt ins Blaue
- Colos / Aldeia das Amoreiras
Mittwoch, 9.3.2022
Der Regen war offenbar nur ein kleiner Gimmick des Himmels und hörte heute Nacht schon bald wieder auf. Morgens um 7:30 Uhr hat es 12 °C und es ist wolkenlos.
Die Mädels dürfen noch einen herzerfrischende Morgen-spaziergang am Strand machen, was eigentlich nicht nötig wäre, weil der Campingplatz so groß und unbesetzt ist, dass man sich auch auf ihm ergehen könnte. Aber das ist nachvollziehbar keine Alternative; es muss Strand sein. Dabei nimmt die Strandläuferin wahr, dass der Stativfelsen von gestern heute knöcheltief im Wasser steht. Wir sind am Atlantik, da muss man mit Gezeiten rechnen, und die großen Muschelkolonien auf den Basaltbrocken, gestern 15 Meter auf dem Strand, ließen schon ahnen, dass dort das Wasser gelegentlich vorbeischaut, weil Muscheln gerne im Wasser wohnen. Später haben uns Leute, die hier waren und eine längere Wanderung gemacht haben, erzählt, dass sie zuletzt über die nadelspitzen und glitschigen Felsen klettern mussten, um überhaupt wieder nach Hause zu kommen.
Allen, die sich hierher und anderswo auf Strandwanderungen begeben, können wir nur dringend raten, die Gezeiten zu beachten. Diejenigen, die sich an der Costa Blanca oder an der Costa del Sol tummeln, müssen sich darum nicht kümmern, weil das Mittelmeer kein Meer, sondern nur eine Badewanne ist und keine nennenswerten Gezeiten kennt. Aber in Milfontes sollte man sich informieren (Gezeitentabellen), weil man nicht am Steinhuder Meer oder am Schwäbischen Meer, sondern an einem richtigen Meer ist und das nimmt keine Rücksicht auf unbedarfte Landratten.
Nach der Rückkehr der Wasserratten von ihrer maritimen Morgenandacht, kommt es zur Nagelprobe in Sachen schwäbischer Laugenweckle. Gegangen sind die gestern Gekneteten wirklich schön über Nacht, jetzt müssen sie nur noch finalisiert und im Omnia unter Feuer genommen werden. Während sie Feuer bekommen, stellt der Chronist Tisch und Stühle 20 Meter entfernt in der Morgensonne auf und muss dabei zusehen, wie der Pole von drei Plätzen weiter eine Gebäcktüte nach Hause trägt; es gibt also doch Frühstücksservice, irgendwo an der Rezeption oder dazwischen, vielleicht an der nur scheinbar geschlossenen Bar. Egal. Wahrscheinlich hätten wir sowieso keine Lust gehabt herumzustapfen und zu suchen und außerdem hätten wir die angebrochene Backmischung nicht mehr einpacken wollen. Heute ist der Tag der Weckle-Wahrheit.
Und dann sind sie fertig – und liegen wie gemalt in ihrer rosaroten Silikonform: brutzelbraun und resch uns fesch, wie man sich eine bayerische Laugensemmel wünscht. Dass auch schwäbisches Gebäck aus der Verpackung mithalten kann, ist umso erfreulicher. Wir lassen sie uns mit Genuss schmecken und beschließen, ab sofort auf unsere Reisen eine solche schwäbische Backmischung für alle Fälle mitzunehmen. Sie hat sich um unser Wohlbefinden und die schwäbische Weckle-Kultur verdient gemacht.
Um 12:30 Abfahrt rollt der Franz ohne Anstand aus seinem Parkplatz und schert sich nicht um das leicht eingegrabene Vorderbein und den nächtlichen Regen. Zur Sicherheit hat ihm der Chauffeur aber schon ein bisschen Traktionskontrolle spendiert. Wir verlassen Orbitur Sitava bei wolkigen 16 °C. Eine Viertelstunde später schluckt unser Franz 65 l Diesel für 1,99.9 €, nicht ahnend, dass das noch ein Schnäppchen ist.
Wir dringen tiefer ins Hinterland des Alentejo vor und rumpeln durch Landschaften, die kaum schöner, aber auch kaum wilder sein könnten. Die Straßen verdienen diesen Namen eigentlich kaum, meist sind es haarsträubende „Spiegelstraßen", auf denen der linke Spiegel immer in Gefahr ist, weil es rechts kaum Platz zum Ausweichen gibt. Meilenweit ist hier Tempo 30 vorgeschrieben, was auch kein vernünftiger Fahrer überschreiten wollte, weil die Wurzel der direkt am Straßenrand stehenden Korkeichen den Asphalt in eine wüste Hügellandschaft verwandelt haben. Damit es nicht zu kapitalen Schäden kommt, ist an vielen Stellen sogar die Vorfahrt geregelt, weil man fahrend kaum aneinander vorüberkommt.
Aber dennoch: Was für ein Land! Manchmal fragen wir uns, wie etwas so Schroffes so sehr aufs Herz gehen kann. Wer schon einmal Korkeichenwälder gesehen hat, weiß, was wir meinen. Jeder einzelne dieser bizarren Zeitzeugen scheint die Augenblicke seines Lebens getanzt und in schmerzhaften Verrenkungen für uns konserviert zu haben. In steinigem, felsigem Boden wurzeln sie und krallen sich fest, um auch die kommenden Zeitläufte für unsere Nachfahren festzuhalten. Über ihnen kreisen schwerelos Störche und in den kleinen Ortschaften holt man bei unserer Durchfahrt die Kinder ins Haus, weil man hier noch nie ein Wohnmobil gesehen hat. Ok, das ist etwas dramatisch überhöht, ausgeschlossen ist es nicht.
Um 13:15 Uhr kommen wir in Colos an, unbeschadet und mit nicht weiter beschädigtem Spiegel und werden von unserer Freundin Eva erwartet, jene, die uns an der Algarve nicht besuchen konnte und der wir versprachen, ihr einen Besuch abzustatten. Jetzt sind wir hier und freuen uns alle sehr, dass es geklappt hat. Wir kennen Eva schon lange aus der Hovawartwelt; viele Jahre war sie im Rassezuchtverein Zuchtleiterin und ist immer noch stellvertretende Zuchtleiterin, Ausstellungsrichterin und Körmeisterin. Seit zehn Jahren lebt sie hier und arbeitet für eine deutsche Großgärtnerei, die Gräser und Stauden zieht. Als sie anfing, produzierten sie hier in einem Gewächshaus von einem halben Hektar Größe, heute ziehen sie die Pflanzen auf 20 Hektar. Im Westen der Gärtnerei ist weiteres Land dazugekommen, das den Betrieb auf eine Größe von fast 40 Hektar erweitern wird. Dort ist auch ein Wohnmobilstellplatz geplant. Im Osten entsteht gerade ein mächtiges Wasserrückhaltebecken, dass das kostbare Regenwasser sammeln und verhindern soll, dass es versickert und im nächsten Fluss seinen Weg ins Meer antritt. Die Anlage ist bereits genehmigt.
Eva führt uns durch ihre Gräser- und Staudenwelt. Es berührt uns seltsam, vor tausenden von Töpfen und Töpfchen zu stehen, uns erklären zu lassen, welchen Weg sie hinter sich haben, bis sie bei uns im Laden stehen: Die Kunden heißen Dehner, Kölle, LIDL, ALDI und alle, die solche Pflanzen im Sortiment haben. Auch hier sind Asiaten beschäftigt, die unermüdlich topfen, umtopfen, beschneiden, Unkraut zupfen, sortieren und aussortieren, und die Ware schließlich tonnenweise auf die LKW laden, die sie innerhalb eines Tages, frisch wie der portugiesische Morgen, anliefern.
Eineinhalb Stunden lassen wir uns von Eva alles zeigen und erklären, schlendern eine Staudenreihe hoch und eine Gräserreihe runter und wieder eine Staudenreihe hoch, fragen, welche Pflanzen diese und welche jene dort ist, erfahren, welche besonders empfindlich sind und welche nur in dieser Gärtnerei besonders gut gedeihen...
Nach eineinhalb Stunden haben wir mehr gesehen, gehört und gelernt, als wir uns merken können, deshalb tun wir nun das, was wir am besten können: Wir fahren um ein paar Ecken hinter Eva her in einen Korkeichenwald und lassen dort unsere Mädels laufen. Evas Hovawarthündin ist auch mit von der Partie und auch ihre Mixhündin, von der man nicht viel mehr weiß, als dass ein Malinois den Hauptanteil der Mischung ausmacht, was sie auch eine gute halbe Stunde rennend und kreisend zu beweisen sucht. Die vier Mädels kommen gut miteinander zurecht und wenn sie es als nötig erachten, gehen sie sich aus dem Weg.
Um 15:45 fahren wir weiter nach Aldeia das Amoreiras, wo sich Eva vor einem Jahr ein Häuschen mit Aussicht gekauft und nach ihren Vorstellungen umgebaut hat. Der Ort selbst ist kaum erwähnenswert, höchstens weil sich dort ein Guru namens Mooji niedergelassen hat, der alles aufkauft, was nicht sofort vom Markt ist, und eine verhuschte Anhängerschaft anlockt.
Wir sitzen mit Eva zusammen bei einem Gläschen Wein, tauschen alte und neue Geschichten aus und erfahren auf diese Weise auch Dinge, die man als Außenstehender normalerweise nicht weiß. Oder wisst ihr, dass Gewerbetreibenden in Portugal das Finanzamt vorschreibt, welches Auto sie fahren dürfen? Achtet mal darauf, sagt Eva, die Straßen sind voll mit weißen, fensterlosen Transportern, Kleintransportern und Nutzfahrzeugen der Kategorie Caddy oder Kangoo in Minimalausstattung. Wie sie das sagt, müssen wir zugeben: ja, das sind auffällig viele. Wenn man sich lange nicht gesehen hat, reicht ja keine Zeit aus, um sich alles zu erzählen, was es mitzuteilen gibt, da trifft es sich gut, dass der Abend noch einige Stunden für unsere Plaudereien vorhält.
Um 19 Uhr fahren wir mit Eva und ihrem Lebensgefährten Carlos nach Amoreiras Gare zu O Peixeiro, einem sehr guten Fischrestaurant. Der Abend wird lang und versorgt uns mit originaler portugiesischer Fischküche. Der Chronist kann sich mit Carlos zusammen nicht für ein Dessert entscheiden, und so werden es dann drei, wobei eine Portion schon für uns alle gereicht hätte. Der Wein kommt auch in launiger Menge zu seinem Recht, und während die Reiseleiterin sich mit Carlos in lange Gesprächsfäden verwickelt, versuchen Eva und der Chronist den Boden der anfänglich fast vollen Schnapsflasche zu ergründen, was ihnen jedoch nicht gelingt.
Um 23:15 sind wir wieder bei Eva und besteigen unseren Franz, der wenige Meter vor ihrer Haustür auf uns wartet. Bei der kleinen Schlagseite, die wir haben, ist es dann auch egal, dass Franz etwas nach hinten hängt, weil wir die Hanglage nicht ganz abfangen konnten. So steigt dann nicht nur der Alkohol ins Hirn, sondern schwappt gleich das ganze Hirn hintüber. Aber draußen ist es klar bei 11 °C.