Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Setúbal / Évora

Setúbal

Mittwoch, 16.3.2022

Als wir um 8:15 Uhr aus dem Fenster blicken, ist es nicht der trübe Blick des noch halb schlafenden Auges, der uns die Welt so schleierhaft erscheinen lässt, es ist die Sahara, von der sich doch mehr hier herumtreibt als wir gestern dachten. Tatsächlich ist der Himmel über Comporta verhangen und staubig, nicht rot oder orange wie anderswo, aber sehr grau, anders grau, als wenn es nur schlechtes Wetter wäre, irgendwie kompaktgrau. Vielleicht ist es auch nur eine freundliche Geste der Sahara, die uns besuchen kommt, wenn wir sie schon nicht besuchen dürfen: A faint touch of Sahara...  

Um 10 Uhr fahren wir los. Unser Ziel ist Setúbal, jenseits der Bucht. Und weil sich der Chauffeur ums Fahren kümmert und die Reiseroute vertrauensvoll der Reiseleitung überlässt, plant die nach eigenem Belieben und vor allem nach ihren eigenen Vorlieben. Getreue Verfolger unserer Fahrten der vergangenen Jahre ahnen vielleicht schon, was jetzt kommt: Jawoll, wir fahren Fähre! Wenn irgendwo im räsonablen Umkreis unserer Route eine Fähre bereit liegt, steuert die Reiseleiterin sie an, selbst wenn die Überfahrt nur fünf Minuten und der Landweg 15 Minuten dauert. Falls sie dereinst dem Irdischen entsagen wird, möge in ihren Grabstein „Fährwell Heike" graviert werden. Fürs erste darf sie als „Wellfähr-Heike" ihr Fährwesen betreiben. Um 10:15 Uhr sind wir am Fähranleger der Atlantic Ferries. Für die Überfahrt bezahlen wir 28,90 € für den Franz, 5,10 € für Fährwell und Fahrer, und 0,50 € pro Person zur Rettung der Delphine, das macht 35 €. Die Hunde werden durchgewunken.  

Irgendwann löst sich aus der grauen Saharasuppe ein Schiff und steuert auf uns zu, ein Schiff, das jedoch in den Augen der Reiseleitung unmöglich unseres sein könne. Dazu muss man wissen, dass Atlantic Ferries herrlich apfelgrüne Schiffe im Einsatz hat, die Lieblingsfarbe der Reiseleiterin, und man darf davon ausgehen, dass die Fährentscheidung ihren entscheidenden Kick dieser Farbgebung zu verdanken hat. Doch was jetzt auf uns zutreibt, ist ein Coca-Cola-Schiff, rundum colarot mit Coca-Cola-Schriftzug. Nur einige wenige Teile der Fähre zeigen das frühlingsfrohe Apfelgrün.  

Aber es ist kein Irrtum: Um 11 Uhr legen wir mit der Cola-Fähre ab und steuern Setúbal an. Es bläst ein frischer Wind, das Wasser ist kabbelig, aber nicht kabbelig genug, um bei der Reiseleiterin ein Unwohlsein über die Farbgebung hinaus auszulösen.  

Um 11:25 Uhr rollen wir in Setúbal an Land, eine Wortwahl, die einen charmanten Brückenschlag zu einer der Partnerstädte von Setúbal herstellen soll: Landsberg am Lech. Mit diesem Landgang verlassen wir allerdings für kurze Zeit den Alentejo und befinden uns nun in der Estremadura, einem Küstenlandstrich im mittleren Portugal. Die Estremadura darf nicht mit der spanischen Extremadura verwechselt werden, obwohl beide Begriffe die gleiche Bedeutung haben: „Jenseits des Douro".  

Ein bisschen müssen wir suchen, bis wir einen Abstellplatz für den Franz gefunden haben, aber nach knapp 15 Minuten ist auch das unter Dach und Fach, und wir stehen praktisch noch immer im Hafen vor dem Club Naval Setubalense an der Straße [N 38° 31' 14,6'' W 008° 53' 40,1'']. Die Platzwahl ist nicht ganz unbeabsichtigt, denn unser erstes Ziel ist die Markthalle (Mercado do Livramento) in der Av. Luísa Todi. Und von unserem Parkplatz zum Markt sind es kaum mehr als fünf Minuten.  

Diese Markthalle ist ein Ereignis! Riesig, nicht so groß wie in Valencia, dafür hoch und luftig und Wände ringsum mit herrlichen Azulejos, jenen kunstvollen Keramikfliesen, die Portugal zur Meisterschaft entwickelt hat. Die Markhalle von Setúbal ist ohne Zweifel die schönste auf unserer Reise, schöner als die von Valencia. Die Auswahl ist riesig, selbst jetzt gegen Mittag noch, die Händler sind unglaublich herzlich und freundlich. Wir erleben an jedem Stand nur aufgeschlossene Menschen, die mit uns palavern und scherzen. Wir kaufen Obst, Gemüse, viel zu viel unwiderstehlichen Käse, Marmeladen, einen halben Nuss-Schokokuchen (für 5 €!), dazu auch viel zu viel unverschämte, süße Schweinereien und schwarzes Schwein muss immer sein. Sogar ein Sektglas nehmen wir mit, weil wir eines von unseren zerschmissen haben, nur Fisch kaufen wir heute nicht.  

Schwer beladen tragen wir unsere Schätze zum Franz, verstauen sie sorgsam und gehen um 12:45 Uhr nochmal los, um auch einen Blick auf die Stadt zu werfen, die ja nicht nur aus einer Markthalle besteht. Eine Stunde streichen wir durch die Straßen und Gassen, die teilweise breit und imposant sind wie die Avenida Luísa Todi, an welcher der Markt liegt. Aber die Stadt kann auch anders, sogar ganz anders.  

Viele enge und pittoreske Gassen laden zum Flanieren ein, überraschende Ecken und verwunschene Winkel lassen uns immer wieder von unserem geplanten Weg abkommen. Setúbal ist eine beindruckende und beeindruckend ehrliche Stadt, natürlich und nicht für den Tourismus aufgehübscht. Aber es ist auch eine verstörende Stadt, weil fast neben jedem attraktiven, alten oder renovierten Haus eine Ruine steht, eine richtige Ruine oft, die nur noch aus einer Fassade besteht, hinter der sich Wildwuchs breitmacht. Diese ungeschminkte Morbidität berührt unser Innerstes. Weil sie den Verfall unverhüllt neben der Blüte stehen lässt, wirkt sie auf uns wie ein Spiegelbild des Lebens: Was heute stolz erstrahlt, kann morgen schon in Trümmern liegen. Ziemlich verwirrt und angefasst kehren wir nach einer Stunde zum Franz und den Mädels zurück und befinden, dass es einem Setúbal nicht leicht macht, es zu mögen, umso mehr mag man es, wenn man es akzeptiert, wie es ist. Setúbal ist unbedingt einen Besuch wert.  

Um 13:45 Uhr verlassen wir Setúbal bei 17 °C und noch immer ohne echten Durchblick durch den Saharastaub. Wir verlassen die Küste und begeben uns wieder in den Alentejo, tief ins Herz des Alentejo sogar.  

Um 15:30 Uhr sind wir in Évora, vor den Toren des Campingplatzes Orbitur Évora [N 38° 33' 26,9'' W 007° 55' 34,1'']. Der Staub vom Himmel und der Sahara hängt auch hier in der Luft, und dementsprechend bringt es diese auch auf nicht mehr als 15 °C. Heute sind wir 115 km gefahren (ohne die Fährkilometer). Mit Camping Card Europe zahlen wir hier 17 € für die Nacht. Es hat Vorteile, wenn man mehrere Karten vorlegen kann, diese haben wir gerade noch zwei Tage vor der Abreise geliefert bekommen. 

Wir trinken Kaffee und arbeiten uns durch verschiedene Kuchen vom Markt. Dann stürzen wir uns auf die Waschmaschinen, denn eine Großwäsche ist dringend nötig. Und weil man damit rechnen muss, dass morgen auch andere auf diese Idee kommen, nutzen wir den Abend und die Nacht, damit es erledigt ist und sich andere um Waschzeit balgen können.  

Schon während der Fahrt hierher haben uns einige Verfolger darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Webseite auf Error läuft. Wir finden keine Ansatzpunkte, was warum wo hängt. Also bemühen wir den Service unseres Providers, doch nachts sind nicht nur alle Katzen grau, sondern auch die Dienstleister mau. Die Dame am anderen Ende der Leitung erklärt uns kurz angebunden, dass auf unserer Seite irgendein Script nicht laufe und sie uns nicht helfen könne. Bei uns laufen alle Scripts, zumal wir den ganzen Tag die Seite nicht angefasst haben, weil man so etwas normalerweise nicht unterwegs macht. Das beeindruckt diese Web-Kapazität nicht, sie wiederholt ihre Analyse und legt auf.  

Prost Mahlzeit! In unserem Fall bedeutet das heute Brotzeit mit den Leckereien vom Markt und ein Cheers auf die ferne Dienstleisterin, die so viel Durchblick hat wie wir im Saharastaub.  

Évora
Carrasqueira / Comporta