Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Évora – Vila Viҫosa – Borba – Évora Monte

Évora

Freitag, 18.3.2022

Es ist erledigt, was zu erledigen war, der Himmel bleibt überwiegend gräulich, aber trocken. Es gibt also keinen Grund, länger zu verweilen. Das liegt auch am Ambiente, das dieser Campingplatz bietet.  

Die Parzellen sind von Hecken und Bäumen gefasst und für unsereins angenehm groß, für die ganz Großen sind sie zu knapp. In dieser Hinsicht können wir uns nicht beschweren. Leider bleibt es nicht dabei.  

Die Sanitäranlagen sind sauber, aber vernachlässigt. Sie bräuchten dringend mehr Pflege. Überall fehlt etwas, hier ein Riegel, dort ein Scharnier, Dichtungen sind undicht, sodass man am Geschirrspülbecken im Wasser steht, das irgendwo wegtropft. Die Wände der Toiletten und Duschen sind voller Kalk und haben schon länger kein Putzwasser mehr gesehen. Heißwasser an der Geschirrspüle ist vorhanden, aber der Hahn lässt sich so schwer bewegen, dass man ihn nur unter Kraftaufbietung wieder zubekommt. Wer dazu nicht bereit ist, lässt es eben laufen. So zieht sich das durch. Ob es unter diesen Bedingungen den Camper glücklich macht, wenn er an jeder Ecke eine Serie von Mülleimer zum Trennen vorfindet, muss jeder für sich entscheiden.  

Entsorgung gibt es nur für Chemietoiletten, Grauwasser-Entsorgung ist nicht vorgesehen, es sei denn, damit wäre der Gully gemeint, der direkt vor dem Toilettenschacht liegt. In der Praxis bedeutet das, dass man sein Grauwasser auf den Fahrweg vor der Sanitäranlage laufen lässt und hofft, dass es in den Gully läuft. Mehr ist dort nicht vorgesehen, und das ist schlicht eine Sauerei.  

Wasserfassen sollte man sich auch gut überlegen: Ein einziger, kurzer Wasserschlauch hängt neben dem Toilettenschacht und wird von allen zur Reinigung der Toilettenkassette benutzt. Einige Meter in Richtung Rezeption gibt es eine weitere Wasserstelle, allerdings ohne Schlauch. Man müsste also seinen eigenen Schlauch bemühen, wozu wir keine Lust haben (alles rausräumen, tanken, wieder alles zurückräumen), und außerdem steht man bei dieser Prozedur allen, die rein oder raus wollen, im Weg.  

Wir wollen heute niemandem im Weg stehen, entsorgen unsere Toilette und reisen um 11:20 Uhr ab. Eine Viertelstunde später stehen wir auf dem riesigen Parkplatz von Évora, nur wenige Schritte vom Stadtzentrum entfernt [N 38° 33' 57,8'' W 007° 54' 24,8''] und machen uns ohne die Mädels auf Sightseeing.  

Die Geschichte Évoras reicht weit in die Vorzeit zurück, wovon eine beeindruckende Megalithanlage in der näheren Umgebung zeugt. Die Gründung der römischen Stadt Ebora Liberalitas Julia geht auf die Kaiserzeit zurück, der römische Tempel mit seinen gut erhaltenen Säulen zeugt noch heute vom römischen Erbe. Die weitere geschichtlich Entwicklung gleicht mehr oder weniger der anderer Städte auf der Iberischen Halbinsel. 1986 wurde die Stadt in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Heute hat die Stadt etwa 60.000 Einwohner.  

Im Mittelalter gehörte Évora zu den einflussreichsten Städten Portugals, wovon noch heute prächtige Paläste und Gotteshäuser zeugen. Die Kathedrale von Évora aus dem 13. Jh. gilt vielen als das schönste gotische Gotteshaus Portugals. Wir können sie nur von außen besichtigen, weil drinnen eine Messe zelebriert wird und ein Uniformierter Besucher abweist.  

Aber an der Westseite der Kathedrale liegt die Capela dos Ossos, die berühmte Beinkapelle. Wer es makaber liebt, zahlt gerne 5 €, beziehungsweise 3,50 € für den Eintritt in diese Knochensammlung. Schon der Eintritt in die Kapelle gestaltet sich makaber, aber ganz nach dem Geschmack des Chronisten: "Nos ossos que aqui estamos pelos vossos esperamos" steht über dem Portal, was frei übersetzt, aber in feines Versmaß gefasst, bedeutet: „Unsere Knochen liegen hier, auf eure Knochen warten wir." Da tanzt das Herz des Gruftis vor Freude. Drinnen liegen, fein säuberlich gestapelt und vermörtelt, etwa 5.000 exhumierte Knochen und Schädel mittelalterlicher Menschen. 5.000-fach Ruhe in Frieden – da möchte man sich doch gleich dazulegen. Aber auch die Reiseleiterin schaut beeindruckt und schaudert nicht.  

Wenn man die Kapelle verlässt, kommt man an dem weit über mannshohen Modell einer Kirchenkuppel vorbei, das veranschaulicht, mit welchem Aufwand und mit welcher Akribie man früher einen Bauherrn von seinem Bauplan überzeugen musste. Heute stellt man vermutlich schneller einen Wolkenkratzer auf als damals dieses Modell.  

Wir streifen weiter durch Évora, finden Gefallen an der Stadt, ohne sie so euphorisch zu sehen, wie das andere offenbar tun. Die Stadt ist attraktiv, aber nichts, was uns in Begeisterung ausbrechen ließe. Schöne, beeindruckende Häuser und Paläste gibt es hier, Plätze, die von ihrer Geschichte zeugen, und natürlich den römischen Tempel aus dem 1. Jh. mit seinen 14 noch gut erhaltenen Granitsäulen, was angesichts der ereignisreichen Geschichte der Stadt eine stattliche Leistung ist, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Westgoten bei ihren Eroberungszügen kaum einen Stein auf dem anderen ließen, schon gar keinen römischen.  

Während wir langsam wieder zum Parkplatz zurückschlendern, fragt die Reiseleiterin unvermittelt: „Soll ich?" Den verständnislosen Blick des Chronisten beantwortet sie mit einem Blick auf ein kleines Friseurgeschäft. Da keine Einwände kommen, ganz im Gegenteil, schließlich wird es auch für sie Zeit, sich ihrem Schicksal zu stellen, fragt sie im Geschäft nach, ob gerade Zeit ist. Weit und breit ist keine Kundschaft zu sehen, also verschwindet sie im Laden und der Chauffeur steuert seinem Franz entgegen, wo er um 12 Uhr ankommt und von den Mädels fassungslos und sorgenvoll empfangen wird. Zusammen gegangen und allein zurück? Die Mädels machen sich ernste Sorgen um das Wohlergehen ihrer Chefin, der Chronist tut das nicht. Durch dieses Abenteuer muss jede(r) einmal durch – Ausgang unbekannt.  

30 Minuten später ist die Reisegruppe wieder vollständig, das Navigatorinnenhaupt noch an Ort und Stelle, etwas ungewohnt aufbereitet, aber nicht verunstaltet. Auch die Mädels erkennen sie sofort wieder, was jedoch nicht viel zu bedeuten hat, denn den Chauffeur haben sie nach seiner Zurichtung in Cala de Mijas auch sofort wiedererkannt. Und bei 20 € für Waschenschneidenföhnen sollte man nicht meckern; sieht doch ganz ordentlich aus.  

Wir fahren weiter, über die N 254 nach Nordost. Es ist immer noch bewölkt bei 17 °C. Um 14:45 Uhr stellen wir uns auf den ebenfalls sehr geräumigen Parkplatz in Vila Viҫosa [N 38° 33' 58,3'' W 007° 54' 25,0'']. Falls jemand noch nie etwas von Vila Viҫosa gehört hat und sich fragt, warum man dorthin fährt, geht es ihm wie dem Chauffeur.  

Machen wir es kurz: Der Ort wurde schon von den Kelten, später von den Römern besiedelt. Die Westgoten kamen später und dann die Mauren, bis die Reconquista den letztgültigen Zustand herstellte. Mitte des 15. Jh. riss sich die Familie Braganҫa die Gegend und die Stadt unter den Nagel und baute sich hier ein Schloss. Als João von Braganҫa 1640 König von Portugal wird, zieht die Familie nach Lissabon und nutzt den Palast nur noch als Sommerresidenz. Somit bleibt für den Ort nur noch ein Palast für die Touristen – und der Marmorabbau. Vila Viҫosa ist das Zentrum des portugiesischen Marmorabbaus. Der lockt die Reiseleiterin an.  

Schon die Anfahrt lässt uns staunen. Wer etwa den Marmorabbau in Carrara gesehen hat, stellt sich einen beeindruckenden Steinbruch mit gleißenden, glatten und senkrechten Wänden vor. Doch hier säumen nur riesige Steinberge die Straßen, so als ob man den ganzen Abraum als Schutthalde in der Landschaft entsorgt hätte. Ein bisschen ungewohnt und befremdlich ist das schon, schließlich hat man seine Vorstellungen und fühlt sich getäuscht, wenn diese von der Wirklichkeit ignoriert werden.  

Der Rundgang durch den Ort ist der wahrscheinlich seltsamste und verstörendste, den wir je erlebten. Die Gehsteige sind ein Mosaik aus Bruchmarmor, Marmorblöcke stellen die Bordsteine. Die Türeinfassungen vieler Häuser sind Marmor. Warum auch nicht, wenn er überall herumliegt? Wenn man jedoch den Rest betrachtet, wird es einem schauriger ums Herz als jeder zartbesaiteten Seele in der Knochenkapelle. Als wir Setúbal einen ziemlich morbiden Charme bescheinigten, hatten wir noch keine Ahnung, was morbide wirklich bedeutet. Es würde uns nicht wundern, wenn die UNESCO Vila Viҫosa in die Weltkulturerbeliste der morbidesten Städte aufnehmen würde. Noch nirgendwo, auch nicht in Setúbal, haben wir so viel Verfall neben gesundem Baubestand gesehen wie hier! Außer den Marmorgehsteigen und Türrahmen ist vieles verfallen oder im Verfall begriffen. Wir übertreiben nicht, wenn wir die Stadt als Schutthaufen bezeichnen, edler Schutt zugegeben, aber Schutt. Wenn sich dieses Ortes niemand erbarmt, werden dereinst nur noch marmorne Türfassungen in der Landschaft stehen und von der Vergänglichkeit des Glanzes und des Ruhms zeugen.  

Dazu kommt, dass die Stadt tatsächlich tot ist. Es ist kein Leben auf den Straßen und in den Gassen. Die Restaurants sind geschlossen oder leer, nur in einigen miefigen Kneipen spielen alte Männer Karten. Wann kann man schon ungestört fotografieren, ohne unentwegt Leute vor der Linse zu haben? Hier ist das kein Problem. Vor dem mächtigen Schloss der Braganҫas sind wir völlig allein, kein Mensch, noch nicht einmal ein streunender Hund. Vielleicht möchte selbst der hier nicht begraben werden.  

Um nicht allzu negativ zu sein, müssen wir einräumen, dass es zwischen all diesem Verfall auch schöne und liebevoll restaurierte Gebäude gibt, hier ein Hotel, dort ein Bürgerhaus. Aber am Gesamteindruck dieses Ortes ändert das nichts. Am beeindruckendsten finden wir das moderne Justizgebäude mit einer gelungenen Marmor- und Metallfassade; es ginge doch. Die Frage ist, warum es nicht geht.  

Nach einer Stunde haben wir genug gesehen und fahren weiter. Es hat immer noch 17 °C, ist aber unangenehm windig kühl.  

Um 16 Uhr sind wir in Borba und parken an der Straße, wenige Meter vor der Adega de Borba [N 38° 48' 5,4'' W 007° 27' 52,3'']. Es ist der Wein, der uns hierherlockt: Borba ist das Zentrum des lokalen Weinbaus. Verkosten können wir zwar in der Bodega nicht, aber kaufen dürfen wir. Vermutlich ist es sogar ein Segen, dass wir nicht verkosten dürfen, weil wir sonst bestimmt mehr mitnehmen würden, als es unsere Lagerkapazität zulässt. Schließlich entscheiden wir uns für sechs Flaschen Weißen, zwei Falschen Roten und eine Flasche Sekt, die wir brauchen, um demnächst unser Bergfest, also die Halbzeit unserer Fahrt ins Blaue, zu feiern. Für unseren Einkauf zahlen wir 39 €.  

Ohne Weinverkostung sind wir zwangsläufig schnell wieder draußen und unterwegs. Um 16:20 Uhr fahren wir weiter zum Camping Alentejo in Évora Monte, wo wir nach einer halben Stunde ankommen [N 38° 47' 33,1'' W 007° 41' 14,3'']. Nach 99 km ist hier Schluss für heute.  

Der eigentliche Campingplatz im hinteren Teil der Anlage bietet nicht vielen Campern Platz, dafür ist der vordere Teil, noch vor der Rezeption, deutlich größer. Wir suchen auch nicht lange herum und bleiben draußen; ein schöner, etwas versteckter Pitch, drei Seiten von Hecken eingefasst und von einer Steineiche behütet, überzeugt uns. So viel wir momentan sehen, ist der Platz ideal für unsere Bedürfnisse, weil wir ihn eigentlich nur angefahren haben, um die unterbliebene Ver- und Entsorgung heute Morgen nachzuholen und morgen weiterzufahren. Da wir bezüglich der nächsten Tage noch etwas im Unreinen sind, ist uns das noch wichtig: Was weg ist, ist weg und was drin ist, ist drin.  

Wenn wir uns jedoch ein wenig umsehen, könnte uns diese Anlage auch für länger gefallen. Das beginnt damit, dass die Anzahl der Besucher wirklich sehr überschaubar ist, von Massentourismus jedenfalls keine Rede. Gleich neben der Rezeption befinden sich eine top gepflegte Sanitäranlage. Ein großer, ebenfalls sehr gepflegter V+E-Bereich macht Eindruck. Und für Hundebesitzer gibt es jede Menge Auslauf.  

Betrieben wird der Platz von einem portugiesisch-holländischen Paar, das alles liebevoll und mit großem Engagement gestaltet hat und pflegt. Frühstücksgebäck kann man für den nächsten Tag bestellen, ein großer, verglaster Freisitz lädt, falls das Wetter mitspielt, zum Draußensitzen ein. Ein Pool ist auch da, der hier Sinn macht, weil es sonst in der Umgebung keine Badegelegenheit gibt. Es ist also alles nahezu perfekt und zum Mögen. Sogar für diejenigen, die im Urlaub gerne Holländisch lernen wollen, ist gesorgt: Die Besucher sind zu 80 % Holländer.  

Nur einen Makel hat Camping Alentejo: Er liegt direkt an der N 18 und ist für Empfindliche etwas laut. Die N 18 ist zwar keine Rennstrecke mit Dauerverkehr, aber man hört sie doch sehr gut. Uns stört das nicht, wegen einer Nacht erst recht nicht. Ein letzte Hinweis für alle, die diesen Platz aufsuchen möchten: Reservieren!  

Weil sie heute sehr geduldige Stuben-hockerinnen waren, bekommen die Mädels, nachdem wir uns eingerichtet haben, einen schön langen Spaziergang und sind dann auch mit uns und dem Tag versöhnt.  

Cáceres
Évora